Vorsitz des Betriebsrats und Datenschutzbeauftragte - Kann eine Person beides sein? - BAG vom 6. Juni 2023 – Az.: 9 AZR 383/19
Besondere Gruppen von Arbeitnehmern genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Einerseits ergibt sich eine solche Notwendigkeit aus der besonderen Schutzbedürftigkeit bestimmter Beschäftigter. Beispielsweise für schwerbehinderte Menschen, Schwangere und Personen in Elternzeit. Andererseits bedürfen aber auch Beschäftigte aufgrund bestimmter Funktionen im Betrieb eines besonderen Kündigungsschutzes, zumal deren Unabhängigkeit in Ausübung ihres Amtes sichergestellt sein muss. Nicht nur Betriebsratsmitglieder, sondern auch Datenschutzbeauftragte gehören dieser Beschäftigtengruppe an. Um die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten während seiner Amtszeit zu sichern, schreibt § 6 Abs. 4 S. 2, 3 i.V.m. § 38 Abs. 2 BDSG den Sonderkündigungsschutz für die Dauer eines Jahres nach Abberufung fort. Dies ist dem Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG nachgebildet. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage beendete das Bundesarbeitsgericht vor wenigen Tagen einen jahrelangen Rechtsstreit. Das BAG hatte nämlich zu entscheiden, ob das Amt des Betriebsratsvorsitzenden und das des Datenschutzbeauftragten miteinander vereinbar sind ( Urteil des BAG vom 6. Juni 2023 – Az.: 9 AZR 383/19).Herr Rechtsanwalt Nikolaos Siametis erklärt alles Wichtige zu dem Fall.
Erfasst vom Kündigungsschutz werden sämtliche ordentliche Beendigungs- und Änderungskündigungen, nicht jedoch Aufhebungsverträge. Zulässig bleibt mithin eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB. Als wichtiger Grund kommt jeder Grund aus dem Arbeitsverhältnis in Betracht, der die Kündigung nach § 626 BGB legitimiert. Umgekehrt legitimiert ein wichtiger Grund i.S.v.
§ 6 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 38 Abs. 2 BDSG, der die Abberufung des Datenschutzbeauftragten legitimiert, noch nicht zwangsläufig die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Fehlt es nur an der Eignung zur Fortführung des datenschutzrechtlichen Amts, ohne dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Übrigen unzumutbar ist oder sind die gesetzlichen Voraussetzungen zur verpflichtenden Benennung entfallen, kommt nur die isolierte Abberufung, nicht aber die umfassende außerordentliche Beendigungskündigung nach § 6 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 38 Abs. 2 BDSG in Betracht. Insoweit kann ein wichtiger Grund im Sinne des § 6 Abs. 4 S. 1 BDSG auch in der fehlenden (fachlichen) Eignung vorliegen
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage beendete das Bundesarbeitsgericht vor wenigen Tagen einen jahrelangen Rechtsstreit. Das BAG hatte nämlich zu entscheiden, ob das Amt des Betriebsratsvorsitzenden und das des Datenschutzbeauftragten miteinander vereinbar sind.
Der Sachverhalt
Der klagende Arbeitnehmer war in seiner Stellung als Vorsitzender des Betriebsrats teilweise von der Arbeit freigestellt worden. Mit Wirkung zum 1. Juni 2015 wurde er von seinem Arbeitgeber zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Auf Veranlassung des Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurde die Bestellung am 1. Dezember 2017 mit sofortiger Wirkung widerrufen und der betroffene Arbeitnehmer vorsorglich als Datenschutzbeauftragter abberufen.
Die vom Arbeitnehmer erhobene Klage war auf die Feststellung gerichtet, dass er nach wie vor Datenschutzbeauftragter sei. Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, dass die Gefahr eines Interessenkonflikts bestehe, wenn der Arbeitnehmer zugleich Datenschutzbeauftragter und Betriebsratsvorsitzender sei, weil diese beiden Ämter nicht miteinander vereinbar seien. Es gebe daher einen wichtigen Grund, der es rechtfertige, den Arbeitnehmer von seiner Stellung als Datenschutzbeauftragter abzuberufen.
Die Vorinstanzen gaben der Klage des Arbeitnehmers statt. Die Sache landete vor dem Bundesarbeitsgericht. Dieses wiederum legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof vor.
Das BAG hat dem Europäischen Gerichtshof insbesondere die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der deutsche Abberufungsschutz für interne Datenschutzbeauftragte EU-rechtskonform ist und ob es einen unzulässigen Interessenkonflikt darstellt, wenn der Datenschutzbeauftragte zugleich Betriebsratsvorsitzender ist.
Das deutsche Recht enthält strengere Regeln zur Abberufung des Datenschutzbeauftragten als die DSGVO. Die Abberufung setzt nach deutschem Recht einen wichtigen Grund voraus. Das europäische Recht gibt vor, dass der Datenschutzbeauftragte wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden darf. Europarechtlich ist vorgegeben, dass Datenschutzbeauftragte ihre Pflichten und Aufgaben unabhängig ausüben können sollten.
Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 9. Februar 2023 – C-453/21) hält die nationalen Regelungen des deutschen Rechts für vereinbar mit der DSGVO. Maßgeblich ist, dass Interessenkonflikte vermieden werden sollen. Hierzu stellt der Europäische Gerichtshof klar, dass der Abberufungsschutz nach dem strengeren nationalen Recht nicht die Abberufung wegen eines Interessenkonflikts verhindern dürfte. Die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten dürfe nicht beeinträchtigt werden. Der Europäische Gerichtshof verwies darauf, dass Art. 38 Abs. 6 DSGVO ausdrücklich erlaubt, dass Datenschutzbeauftragte auch andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen kann. Die Tatsache allein, dass der Datenschutzbeauftragte zugleich Mitglied eines Betriebsratsgremiums ist, begründet nicht per se einen Interessenkonflikt. Allerdings könne ein Interessenkonflikt bestehen, wenn andere Aufgaben und Pflichten den Datenschutzbeauftragten dazu veranlassen würden, Zweck und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten bei dem Verantwortlichen festzulegen. Dies müsse allerdings das nationale Gericht im Einzelfall auf der Grundlage einer Würdigung aller relevanten Umstände feststellen. Die Organisationsstruktur des Verantwortlichen oder seines Auftragsverarbeiters und deren interne Vorschriften müssten dazu bewertet werden.
Die Entscheidung des BAG vom 6. Juni 2023 – Az.: 9 AZR 383/19
Die vom Arbeitgeber eingelegte Revision vor dem BAG hatte nun Erfolg.
Der Widerruf der Bestellung vom 1. Dezember 2017 war aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Ein solcher liegt vor, wenn der zum Beauftragten für den Datenschutz bestellte Arbeitnehmer die für die Aufgabenerfüllung erforderliche Fachkunde oder Zuverlässigkeit (BAG, Urteil vom 22. März 1994 – Az.: 1 ABR 51/93) nicht (mehr) besitzt. Insoweit kann die Zuverlässigkeit auch in Frage stehen, wenn Interessenkonflikte drohen.
Ein solcher Interessenkonflikt ist anzunehmen, wenn der Datenschutzbeauftragte innerhalb einer Einrichtung eine Position bekleidet, die die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu würdigen.
Die Aufgaben eines Betriebsratsvorsitzenden und eines Datenschutzbeauftragten können danach typischerweise nicht durch dieselbe Person ohne Interessenkonflikt ausgeübt werden. Personenbezogene Daten dürfen dem Betriebsrat nur zu Zwecken zur Verfügung gestellt werden, die das BetrVG ausdrücklich vorsieht. Der Betriebsrat entscheidet durch Gremiumsbeschluss darüber, unter welchen konkreten Umständen er in Ausübung seiner gesetzlichen Aufgaben welche personenbezogenen Daten vom Arbeitgeber fordert und auf welche Weise er diese anschließend verarbeitet. In diesem Rahmen legt er die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Inwieweit jedes an der Entscheidung mitwirkende Mitglied des Gremiums als Datenschutzbeauftragter die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten des Datenschutzes hinreichend unabhängig überwachen kann, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung.
Jedenfalls die hervorgehobene Funktion des Betriebsratsvorsitzenden, der den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertritt, hebt die zur Erfüllung der Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 6 Abs. 1 BDSG auf.