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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Was ist privat und geschützt? - Beleidigende Äußerungen in einer privaten Chatgruppe können Kündigung rechtfertigen

Nachrichten, mit denen sich Arbeitnehmer in negativer Weise über ihren Arbeitgeber äußern, sind häufig Gegenstand der arbeitsrechtlichen Beratung. Im Vordergrund steht hierbei, ob solche Äußerungen eine Pflichtverletzung darstellen, da Arbeitnehmer durch eine Meinungsäußerung ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzen können. Das BAG (Entscheidung vom 24. August 2023 – Az.: 2 AZR 17/23) musste sich nun erstmals mit der Frage beschäftigen, ob eine kleine Whatsapp-Gruppe eine Art geschützter, privater Raum ist, in dem Vertraulichkeit gilt und Beschimpfungen oder Beleidigungen ohne arbeitsrechtliche Sanktionen ausgetauscht werden können. Herr Rechtsanwalt Nikolaos Siametis fasst diese Entscheidung zusammen und erklärt die Folgen für die Praxis.

Bei der rechtlichen Bewertung gilt es zu berücksichtigen, dass die nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit sich auf Werturteile bis zur Grenze einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik sowie auf Tatsachenbehauptungen erstreckt, soweit sie Voraussetzung der Bildung einer Meinung sind (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Mai 2018 – Az.: 1 BvR 1149/17). Bewusst wahrheitswidrige Behauptungen dürfen nicht aufgestellt werden. Halten sich die Äußerungen des Arbeitnehmers in diesem Rahmen, liegt keine Pflichtverletzung vor und der Arbeitgeber muss sie hinnehmen. Dies gilt insbesondere für Kritik am Arbeitgeber, soweit sie diese Grenzen einhält.

Zudem unterfallen diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen, die ein Arbeitnehmer in einem vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen tätigt, nach der ständigen Rechtsprechung des BAG dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer dürfen bei solchen Gesprächen grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Äußerungen nicht nach außen getragen werden und müssen daher nicht mit Störungen des Vertrauensverhältnisses oder des Betriebsfriedens rechnen (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – Az.: 2 AZR 534/08). Dieser verfassungsrechtliche Schutz von vertraulichen Äußerungen, die in der Öffentlichkeit aufgrund ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, geht zulasten der persönlichen Ehre des durch die Äußerung herabgesetzten Vorgesetzten oder Kollegen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Arbeitnehmer annehmen können muss, seine beleidigende Äußerung werde von den Freunden oder Familienangehörigen nicht an Dritte weiterberichtet.

Der Sachverhalt

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Ein Lagerleiter eines Luftverkehrsunternehmens ist Mitglied einer privaten Whatsapp-Gruppe, bestehend aus sieben befreundeten Personen, die alle bei dem Unternehmen beschäftigt sind oder waren. In der Whatsapp-Gruppe tauschten sich die Mitglieder über private Angelegenheiten aus. Der über mehrere Jahre geführte Austausch enthielt aber auch beleidigende, rassistische, teilweise menschenverachtende und sexistische Äußerungen und Aufrufe zur Gewalt, u. a. auch gegenüber dem Arbeitgeber, Vorgesetzte und den Betriebsrat. In dem Chatverlauf äußerte sich der Kläger wie folgt:

„Der Pole ist der Schlimmste

aber erst den Polakken umnieten der ist der schlimmste

Wir hätten die Möglichkeit gehabt die Nr. 2 hinter LH zu werden diese drecking Wichser und Polacke

Alle aufknüpfen den Polen zuerst

neues „Opfer“ für den Grabscher von Bosporus Frau A.

der Name L. sagt alles

zionistische Herrscherlobby

Und die Neeger kommen

der zionistische jüdische G.

ja, die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ähnlich was Geschäfte angeht, allerdings 7 Klassen tiefer, Ziegen, Kiosk und gebrauchte statt Banken, Medien und Firmen

G. auch zusammenschlagen lassen!!! Wie besprochen.

K. muss man in die Fresse hauen, so was unqualifiziertes.

(…) er ist doof wie 10 Meter Feldweg im Osten

Es ärgert mich das es wirklich top Leute gibt die machen können was sie wollen und keine Chsnce bekommen und solche Nieten mit ihrem Drecksarsch immer weich fallen was wollte die polnische Verräterfotze mit ihrer Scheißmail eigentlich sagen

der soll seine Fresse halten, sonst läuft bald „spiel mir das Lied vom Tod“ noch mal im Kino in D.

Einer muss von den in die Fresse kriegen als Vorwahrnung

Oder wir dackeln das Bott des Verräters ab“

Nachdem der Arbeitgeber von den Äußerungen in der Chatgruppe zufällig Kenntnis erhielt, kündigte dieser das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Die Entscheidung der Vorinstanzen:

Das Arbeitsgericht Hannover (Urteil vom 24.02.2022 –  Az.: 10 Ca 147/21) und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 19. Dezember 2022 – Az.: 15 Sa 284/22) gaben der Kündigungsschutzklage statt und erklärten die außerordentliche Kündigung für unwirksam. Ein Sachvortrags- oder ein Beweisverwertungsverbot bestehe zwar nicht, da der Arbeitgeber nichts zum Erhalt der Nachrichten beigetragen habe und dem Kläger bei seiner Beteiligung an einer solchen Gruppe bewusst gewesen sein musste, dass der Inhalt seiner Nachrichten auf seinem Smartphone und den Smartphones der anderen Teilnehmer der Chatgruppe gespeichert werde und auch nach längerer Zeit abrufbar sei. Ferner stellten die Äußerungen grundsätzlich einen außerordentlichen Kündigungsgrund dar. Da die Äußerungen aber Bestandteil einer vertraulichen Kommunikation zwischen den Teilnehmern einer privaten Chatgruppe gewesen seien, genießen sie als solche verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre der durch die Äußerungen betroffenen Personen vorgehe. Die Chatgruppe sei mit 7 Mitgliedern noch leicht zu überschauen gewesen. Die Kommunikation der Gruppe sei – trotz der Verschriftlichung der Nachrichten – auf Vertraulichkeit gerichtet gewesen. Es handele sich um eine befreundete Gruppe, innerhalb derer jeder vertrauen durfte, dass die Nachrichten nicht nach außen dringen, was auch über viele Jahre gelang. Neue Gruppenmitglieder wurden nur im Einverständnis aller aufgenommen.

Die Entscheidung des BAG vom 24. August 2023 – Az.: 2 AZR 17/23

Das sah das Bundesarbeitsgericht anders. Auf die Vertraulichkeit der Kommunikation könne man sich bei größeren Chatgruppen nur im Ausnahmefall berufen. In der veröffentlichten Pressemitteilung des BAG heißt es wie folgt:

Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Das Bundesarbeitsgericht präzisiert mit seiner Entscheidung die Anforderungen an eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung. Sind Gegenstand der Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Nikolaos Siametis, Rechtsanwalt

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