Neues zum Thema Beweisverwertungsverbot: Unterliegen Beweise, deren Erhebung gegen Datenschutzregeln verstößt einem Beweisverwertungsverbot?
Die Frage, ob eine gegen Datenschutzregeln verstoßende Beweiserhebung zum Nachweis eines Fehlverhaltens im Kündigungsschutzprozess verwertet werden kann, war immer wieder Gegenstand der Instanz- sowie BAG-Rechtsprechung.
In einem jüngst ergangenen Urteil bleibt das Bundesarbeitsgericht (BAG) dabei seiner eher verwertungsfreundlichen Linie treu und hat entschieden, dass grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung bestehe, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen (Urt. v. 29.06.2023 – 2 AZR 296/22). Das gelte auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts stehe. Hier wiederholt das BAG, was es bereits in einer Entscheidung von 2018 (Urt. v. 23.08.2018 – 2 AZR 133/18) gesagt hat, nämlich, dass Datenschutz kein Tatenschutz sei.
Bei einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat hilft dem Arbeitnehmer, jedenfalls im Falle einer offenen Videoüberwachung, regelmäßig also auch ein Datenschutzverstoß des Arbeitgebers nicht weiter.
Damit erteilt das BAG dem bisweilen anzutreffenden Ansatz, den Datenschutz zu verabsolutieren, eine Absage.
Frau Rechtsanwältin Sanela Pohlmann erläutert die wesentlichen Aspekte der aktuellen Entscheidung und nimmt das Urteil zum Anlass, auch einen kleinen Überblick über bereits in der Vergangenheit ergangene Urteile des BAG zum Thema Beweisverwertungsverbot zu geben.
Der Sachverhalt
Der aktuellen Entscheidung des BAG vom 29.06.2023 (2 AZR 296/22) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien stritten um die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen sowie hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Dem klagenden Arbeitnehmer einer Gießerei wurde vorgeworfen, Arbeitszeitbetrug begangen zu haben, indem er die Erbringung seiner Arbeitsleistung an mehreren Tagen nur vorgetäuscht habe. So habe er das Werksgelände zwar jeweils betreten und seinen Werksausweis vor das Lesegerät des elektronischen Zugangssystems am Werktor gehalten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Arbeitgeberin aber, dass der Arbeitnehmer dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Der Arbeitnehmer erhob hiergegen Kündigungsschutzklage und berief sich insbesondere darauf, dass die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung aufgrund des Verstoßes gegen Datenschutzregeln einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot unterlägen und daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden dürften.
Die Vorinstanzen gaben dem Arbeitnehmer Recht.
Die Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 06.07.2022 (8 Sa 1149/20)
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen urteilte am 06.07.2022, dass zwar die Vorspiegelung eines Arbeitsnehmers, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Die Arbeitgebern habe vorliegend aber nicht bewiesen, dass der Arbeitnehmer eine solche Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat.
Zunächst sei es der Arbeitgeberin verwehrt, Daten, die sie mit Hilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung durch Betrieb von Kartenlesern gewonnen hat, in das Verfahren einzuführen. Denn die Betriebsvereinbarung über die Einführung der elektronischen Anwesenheitserfassung enthalte die ausdrückliche und klare Regelung, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgen darf. Diese Regelung in der Betriebsvereinbarung gelte unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) und soll den betroffenen Arbeitnehmern eigene Rechte einräumen. Dies gelte selbst für den Fall, dass der Betriebsrat der Verwertung der durch die Kartenlesegeräte gewonnenen Erkenntnisse nachträglich zugestimmt haben sollte. Eine rückwirkende Beseitigung der dem Arbeitnehmer durch die Betriebsvereinbarung eingeräumten Rechte sei nicht möglich, da der Arbeitnehmer insoweit Vertrauensschutz genieße.
Die im Verfahren eingeführten Videoaufzeichnungen sowie angebotenen Aussagen von Zeugen, die diese Aufzeichnungen angesehen und ausgewertet haben, seien ebenfalls nicht verwertbar.
Die Arbeitgeberin sei zunächst eine Selbstbindung einer Vorhaltedauer von nur 96 Stunden eingegangen. Hierauf dürfe sich der Arbeitnehmer verlassen und die berechtigte Erwartung hegen, dass auf die gefertigten Videoaufzeichnungen nicht über den Zeitraum der zurückliegenden 96 Stunden hinaus zurückgegriffen werde. Die Arbeitgeberin habe vorliegend aber auf ältere Aufnahmen zurückgegriffen und damit hiergegen verstoßen.
Davon abgesehen greife vorliegend ein Beweisverwertungsverbot, wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Die Heranziehung, Betrachtung und Auswertung der Videoaufzeichnungen der an den Toreingängen zum Betriebsgelände installierten Kameras zum Zwecke der Prüfung, wann der Arbeitnehmer das Betriebsgelände betreten und verlassen hat, stelle eine Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten i.S.d. § 26 Abs. 1 BDSG dar. Sie sei vorliegend weder für die Durchführung noch für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (Satz 1) noch für die Aufdeckung einer Straftat (Satz 2) erforderlich.
Dies setzt voraus, dass die Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den Nachweis eines Arbeitszeitbetruges zu führen. Nach Ansicht des LAG ist die Maßnahme jedoch vorliegend weder geeignet, noch erforderlich noch angemessen.
Die Geeignetheit der Maßnahme scheitere daran, dass die Aufzeichnungen der Videokameras lediglich den Zutritt der Arbeitnehmer auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben dokumentierten, daraus nicht aber auf seine Anwesenheit am Arbeitsplatz geschlossen werden könnte.
An der Erforderlichkeit mangele es, da andere mildere Mittel zur Verfügung stünden, die die Ableistung von Arbeitszeiten verlässlicher dokumentierten. So könne an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung nach der Arbeitsordnung der Arbeitgeberin beginnt und endet – d.h., der Betriebsabteilung auf dem Gelände, in der sich der Arbeitsplatz befindet – eine Anwesenheitserfassung der Beschäftigten durch Vorgesetzte oder auch durch technische Einrichtungen wie eine Stempelkarte erfolgen.
Zuletzt sei die Maßnahme vorliegend auch nicht angemessen, da die Intensität des Eingriffs erheblich sei und vorliegend außer Verhältnis stünde. Der Sichtung von Videoaufzeichnungen, die seinerzeit bereits (teilweise) ein Jahr lang zurücklagen, widerspreche eklatant den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung, die in Art. 5 DSGVO als dem maßgeblichen und nicht durch Art. 88 DSGVO verdrängten europäischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben.
Die Entscheidung des BAG vom 29.06.2023 (2 AZR 296/22)
Das BAG hingegen gab der Arbeitgeberin Recht. Es hob das Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Entgegen der Ansicht des LAG greife vorliegend weder ein Sachvortrags- noch ein Beweiserhebungsverbot ein. Das Berufungsgericht musste vielmehr nach den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts nicht nur das Vorbringen der Arbeitgeberin über das vorzeitige Verlassen des Werksgeländes durch den Arbeitnehmer seiner Entscheidung zugrunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Überwachung an Tor 5 in Augenschein nehmen.
Dabei spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolge und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede stehe. In einem solchen Fall sei es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten habe.
Das BAG ließ offen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das sei vorliegend nicht der Fall.
Das BAG äußert sich in seinem Hinweisen an das Landesarbeitsgericht schließlich auch zu der Frage, ob das Auswertungsverbot in der Betriebsvereinbarung einer Verwertung entgegensteht. Das BAG meint, dass es anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen, der Arbeitgeberin nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verwehrt sei, Daten, die sie mithilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung gewonnen hat, in das Verfahren einzuführen. Den Betriebsparteien fehle die Regelungsmacht, ein über das formelle Verfahrensrecht der Zivilprozessordnung hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen oder die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam zu beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachenvortrag über betriebliche Geschehnisse zu halten und diesen unter Beweis zu stellen.
Fazit
Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG.
So hatte das BAG bereits im Jahre 2018 anerkannt, dass die Speicherung von Bildsequenzen aus einer zulässigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig werde, solange die Rechtsverfolgung durch den Arbeitgeber materiell-rechtlich möglich sei (Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18), und lehnte auch hier ein Beweisverwertungsverbot ab.
Im Jahre 2019 hat das BAG entschieden, dass eine Datenerhebung durch den Arbeitgeber mittels einer offenen Videoüberwachung nur dann unverhältnismäßig und damit nach Datenschutzrecht unzulässig sei, wenn sie für den Arbeitnehmer einen solchen psychischen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugt, dass sie als eine einer verdeckten Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensive Maßnahme anzusehen sei und kein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers bestünde (Urt. v. 28.03.2019 – 8 AZR 421/17).
Auch zur verdeckten Überwachungsmaßnahme hat sich das BAG bereits geäußert. So entschied es 2017, dass eine (verdeckte) Überwachungsmaßnahme durch den Einsatz eines Detektivs zur Aufklärung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nach Datenschutzrecht zulässig sein könne, selbst wenn es nicht um die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat gehe (Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 597/16).
Ferner entschied das BAG im Jahre 2016, dass die Verwertung eines „Zufallsfundes“ aus einer nach Datenschutzrecht gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung zulässig sein könne, wenn es kein milderes Mittel zur Aufklärung eines gegen Beschäftigte bestehenden Verdachts einer Straftat gebe (Urt. v. 22.09.2016 – 2 AZR 848/15).
Aus all diesen Entscheidungen wird deutlich, dass, sobald es um die Aufdeckung oder den Nachweis einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat geht, der Datenschutz zurücktreten muss bzw. die Maßnahme schon gar nicht gegen Datenschutzrecht verstößt, wenn nicht ausnahmsweise eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vorliegt. Datenschutz ist eben kein Tatenschutz.
Gleichzeitig sind Arbeitgeber aber gut beraten, Datenschutzregeln einzuhalten, nicht zuletzt auch weil Datenschutzverstöße zu empfindlichen Geldbußen und ggf. Schadensersatzansprüchen der Betroffenen führen können. Insbesondere in der aktuellen Entscheidung war es außerdem von besonderer Wichtigkeit, dass es sich um eine offene Videoüberwachung gehandelt hat und damit zumindest die nach Art. 13 DSGVO vorgeschriebene Transparenz eingehalten wurde.