Fristlose Kündigung und Annahmeverzug - Können Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen anbieten?
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer zur Vermeidung von Annahmeverzug die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, so verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine -widerlegbare- Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot des Arbeitgebers nicht ernst gemeint ist. Dies folgt aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 29. März 2023 (Akz: 5 AZR 255/22).
Bereits mit dem Blogbeitrag vom 15. Februar 2023 hat Frau Rechtsanwältin Katharina Meyer-Renkes zum Thema Annahmeverzug und böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes berichtet und die wesentlichen in den letzten Jahren ergangenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte u.a. zum Thema der Zumutbarkeit anderer Tätigkeiten dargestellt. Welche Tätigkeiten zumutbar sind, entscheiden die Gerichte im Einzelfall unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles.
Rechtlicher Hintergrund
Nach den allgemeinen Regeln muss der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung die Vergütung als Gegenleistung nur entrichten, wenn der Arbeitnehmer gearbeitet hat. Die Regelungen des Annahmeverzugs stellen eine von zahlreichen arbeitsrechtlichen Durchbrechungen dieses Grundsatzes dar. § 615 BGB erhält dem Arbeitnehmer den Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber sich in Annahmeverzug befindet. In Kündigungsfällen bestimmen sich die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach § 615 BGB und § 11 KSchG.
Die Frage des Annahmeverzugslohns ist für Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess ein entscheidender Aspekt im Hinblick auf das finanzielle Risiko. Stellt sich am Ende des Kündigungsschutzprozesses heraus, dass die Kündigung unwirksam war, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich die gesamte Vergütung zahlen, die der Arbeitnehmer ohne Kündigung verdient hätte. Dies gilt, obwohl der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist für den Arbeitgeber nicht mehr gearbeitet hat.
Nach den Regeln des § 615 S. 2 BGB und des § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer allerdings während des Annahmeverzuges insbesondere den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung zu erwerben böswillig unterlässt. Danach muss der Arbeitnehmer während eines Kündigungsschutzprozesses in der Zeit, in der er nicht für seinen ehemaligen Arbeitgeber arbeitet, andere zumutbare Erwerbsmöglichkeiten wahrnehmen. Tut er das nicht, verringert sich sein Anspruch gegen den ehemaligen Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer den Prozess am Ende gewinnt.
Sachverhalt
Der Kläger war seit Mitte August 2018 als Technischer Leiter bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitgeber sprach am 2. Dezember 2019 zunächst eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der er dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine verminderte Vergütung anbot. Weiter heißt es in dem Kündigungsschreiben: „Im Fall der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung oder im Fall der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 5.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr zum Arbeitsantritt“. Nachdem der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt und nicht zur Arbeit gekommen war, sprach der Arbeitgeber mit Schreiben vom 14. Dezember 2019 eine weitere außerordentliche Kündigung zum 17. Dezember 2019 aus. Für den Fall der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung erwartete der Arbeitgeber den Arbeitnehmer am 17. Dezember spätestens um 12:00 Uhr zum Arbeitsantritt.
Anstatt bei der Arbeit zu erscheinen, reichte der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein und begehrte Annahmeverzugslohn. In dem Verfahren warf der Arbeitgeber ihm unter anderem vor, er sei unfähig, habe die Arbeit verweigert und Mitarbeiter beleidigt. Zudem stellte er sich auf den Standpunkt, dass er sich nicht im Annahmeverzug befand, weil der Kläger während des Kündigungsschutzprozesses trotz Angebotes nicht bei ihm weitergearbeitet hätte. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Arbeitnehmer in dem Prozess einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt hatte.
Die Kündigungsschutzklage hatte erstinstanzlich Erfolg, wohingegen die Klage auf Verzugslohn abgewiesen wurde. Die dagegen gerichtete Berufung wies das Landesarbeitsgericht (LAG) ebenfalls zurück.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichtes und des LAG war der Arbeitnehmer nicht leistungsbereit, weil er das Angebot zur Weiterarbeit nicht angenommen hatte. Ist der Arbeitnehmer nicht leistungsbereit, entfällt sein Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Entscheidung des BAG
Vor dem BAG hatte der Kläger Erfolg. Das BAG verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung des streitigen Verzugslohns.
Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden BAG-Pressemitteilung: Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos wegen angeblicher Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung, bietet er dem Arbeitnehmer aber gleichzeitig zur Vermeidung von Verzugslohnansprüchen die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während eines Kündigungsschutzprozesses an, so verhält er sich widersprüchlich.
Unter solchen Umständen spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die spätere Einlassung des Arbeitgebers im Prozess bestärkt oder entkräftet werden. Im vorliegenden Fall hatte sich der Arbeitgeber in diesem Sinne widersprüchlich verhalten. Er hatte dem Arbeitnehmer kein ernst gemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung gemacht.
Die dem Kläger vom Arbeitgeber vorgehaltene Ablehnung des Angebots einer Weiterarbeit ließ im Streitfall nicht auf einen fehlenden Leistungswillen im Sinne von § 297 schließen.
Das BAG wies auch das Argument zurück, dass sich der Arbeitnehmer seinerseits widersprüchlich verhalten habe, nämlich indem er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt hatte, aber das Angebot des Arbeitgebers auf Weiterbeschäftigung abgelehnt hatte. Es sei ein Unterschied, ob er trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen erheblichen Vorwürfe weiterarbeiten soll oder ob er nach einem Obsiegen vor dem Arbeitsgericht rehabilitiert in den Betrieb zurückkehren kann.
Praxishinweis
Im Falle einer außerordentlichen Kündigung sollten keine vorläufigen Weiterbeschäftigungsangebote gemacht werden, da hierdurch regelmäßig ein Widerspruch zum Kündigungsgrund entsteht.
Die Zumutbarkeit einer Zwischenbeschäftigung ist eine Einzelfallentscheidung und hängt von einer Einzelfallbetrachtung ab: Entscheidend sind Treu und Glauben sowie die Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl. Die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Beschäftigung kann sich aus der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit sowie den sonstigen Arbeits- und Arbeitsvertragsbedingungen ergeben oder eben auch aus den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Unzumutbar ist für den Arbeitnehmer in der Regel die Aufnahme einer solchen Beschäftigung, die ihm die Rückkehr an seinen bisherigen Arbeitsplatz erschweren könnte.
Für die Prozessbeschäftigung gilt: Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die befristete Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen an, so hängt ihre Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer in erster Linie von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess ab. Wird eine Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt, so spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterarbeit für den Arbeitnehmer im Betrieb.
Arbeitgebern ist daher eher davon abzuraten, gekündigten Arbeitnehmern eine Prozessbeschäftigung anzubieten, denn das schwächt unvermeidlich die Begründung für die Kündigung im Prozess. Außerdem hilft ein solches Angebot, jedenfalls bei fristlosen Verhaltenskündigungen, auch im Streitfall nicht beim Annahmeverzugslohnanspruch.
Arbeitnehmer hingegen sollten sich überlegen, ob sie einen Antrag auf Weiterbeschäftigung stellen und hierbei die rechtlichen Möglichkeiten abhängig vom Einzelfall abwägen. In bestimmten Konstellationen ist ein Weiterbeschäftigungsantrag nicht der beste Weg, wie das vorliegende Verfahren zeigt. Hätte wie vorliegend das BAG der Nichtzulassungsbeschwerde des Arbeitnehmers nicht stattgegeben, hätte der Arbeitnehmer trotz einer offensichtlich unwirksamen fristlosen Kündigung seinen Verzugslohnanspruch verloren, dies unter anderem wegen des nach Bewertung des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts interessenwidrigen Weiterbeschäftigungsantrags.