Equal Pay Day - Vertragsfreiheit contra Equal Pay und die neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Heute feiern wir den Weltfrauentag. Tags zuvor markierte der 7. März 2023 den Equal Pay Day. Der Equal Pay Day wird jedes Jahr neu festgelegt. Es ist der Tag, bis zu dem Frauen seit Jahresbeginn rein rechnerisch im Vergleich zu Männern unentgeltlich gearbeitet haben. Diese Tatsache rückt der Equal Pay Day jedes Jahr in den Mittelpunkt. Statistisch gesehen verdienen Frauen derzeit 18 Prozent weniger als Männer. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, erhielten Frauen mit durchschnittlich 20,05 Euro einen um 4,31 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer (24,36 Euro). Im langfristigen Vergleich sank jedoch der unbereinigte Gender Pay Gap. Zu Beginn der Messung im Jahr 2006 betrug der geschlechterspezifische Verdienstabstand noch 23 %. Erwähnenswert ist auch, dass der unbereinigte Gender Pay Gap in Ostdeutschland deutlich kleiner ist als in Westdeutschland. In Ostdeutschland lag er im Jahr 2022 bei 7 %, in Westdeutschland bei 19 % (2006: Ostdeutschland: 6 %, Westdeutschland: 24 %).
Die Gründe für die Unterschiede bei der Entlohnung von Frauen und Männern sind vielfältig, so wirken sich einerseits Erwerbsunterbrechungen und Teilzeittätigkeit negativ auf die Lohnentwicklung aus, hinzu kommen ungleiche Aufstiegs- und Einkommenschancen.
Herr Rechtsanwalt Nikolaos Siametis nimmt zu den Rechtsfragen rund um Equal Pay Stellung und geht dabei auch auf die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16. Februar 2023 – Az.: 8 AZR 450/21 ein.
Bisherige Rechtslage und Rechtsprechung zur Entgeltgleichheit
Gemäß Art. 157 Abs. 1 Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat jedoch jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Insoweit ergibt sich auch ein Anspruch auf gleichen Lohn für Männer und Frauen aus Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG).
Im Jahr 2021 entschied das Bundesarbeitsgericht erstmals, dass ein aufgrund von §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteiltes Mediangehalt männlicher Kollegen, das höher liegt als das Gehalt der Auskunft verlangenden Mitarbeiterin, einen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit gem. Art. 157 AEUV sowie § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG begründen kann (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 – Az.: 8 AZR 488/19). Es gilt insofern § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sodass ein solches Mediangehalt die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts begründe, die von Arbeitgebern widerlegt werden müsse. Bis dahin standen höchstrichterliche Entscheidungen zu dem erst seit Mitte 2017 bestehenden EntgTranspG aus.
In dem Urteil stärkte das BAG das EntgTranspG, indem es klarstellte, dass es für eine Diskriminierung spricht, wenn eine Frau weniger verdient als eine männliche Vergleichsgruppe. Es machte zusätzlich deutlich, dass in diesen Fällen der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, die Vermutung einer Diskriminierung zu widerlegen.
Die Entscheidung des BAG vom 16. Februar 2023 – Az.: 8 AZR 450/21
In einem wegweisenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 16. Februar 2023 – Az.: 8 AZR 450/21) nunmehr weiter konkretisiert, unter welchen Umständen die Vermutung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung in solchen Fällen widerlegt werden kann.
Die Mitarbeiterin und Klägerin machte gegen die beklagte Arbeitgeberin Ansprüche wegen geschlechterspezifischer Diskriminierung geltend. Die Klägerin war seit dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500,00 Euro brutto. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der u.a. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt iHv. 4.140,00 Euro brutto vor. In § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags heißt es: “Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“. In Anwendung dieser Bestimmung zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt iHv. 3.620,00 Euro brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.
Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem 1. Januar 2017. Die Beklagte hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt i.H.v. 3.500,00 Euro brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, d.h. für die Zeit bis zum 31. Oktober 2017 ein höheres Grundentgelt i.H.v. 4.500,00 Euro brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung nach. Nachdem die Beklagte dem Arbeitnehmer in der Zeit von November 2017 bis Juni 2018 – wie auch der Klägerin – ein Grundentgelt i.H.v. 3.500,00 Euro gezahlt hatte, vereinbarte sie mit diesem ab dem 1. Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000,00 Euro brutto. Zur Begründung berief sie sich u.a. darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab dem 1. August 2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, das sich in Anwendung des § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags auf 4.120,00 Euro brutto belief.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeit von März bis Oktober 2017 i.H.v. monatlich 1.000,00 Euro brutto, rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 i.H.v. 500,00 Euro brutto sowie rückständige Vergütung für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019 i.H.v. monatlich 500,00 Euro brutto. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Da die Beklagte sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung i.H.v. mindestens 6.000,00 Euro.
Sowohl das Arbeitsgericht Dresden (Arbeitsgericht Dresden, Urteil vom 4. Oktober 2019 – Az.: 5 Ca 638/19), als auch das Landesarbeitsgericht Sachsen (Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 3. September 2021 – Az.: 1 Sa 358/19) waren dieser Argumentation nicht gefolgt und sahen in der besseren Gehaltsverhandlung einen objektiven arbeitsbezogenen Grund für eine bessere Bezahlung. Die Argumentation beruhte auf der Erwägung, dass die individuelle Aushandlung von höherem Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit dem objektiven Interesse des Arbeitgebers an der Gewinnung eines Arbeitnehmers diene und somit keine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstelle.
Das BAG gab indessen der Klägerin recht.
In der bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung hat das BAG folgendes festgehalten:
Die Beklagte habe die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Die Beklagte habe der Klägerin, obgleich diese und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt als dem männlichen Kollegen. Die Klägerin habe deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 EntgTranspG und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten habe als ihr männlicher Kollege, begründe die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Der Beklagten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen.
Wurde das Spannungsfeld zwischen Vertragsfreiheit und Entgeltgleichheit aufgelöst?
Die Beklagte konnte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Auch konnte die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.
Ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts und damit Equal Pay sind im AGG, im EntgTranspG und im AEUV geregelt. Nicht neu ist daher, dass nur objektive, geschlechtsneutrale Gründe wie Qualifikation oder Berufserfahrung bei gleicher Tätigkeit eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen können. Bei der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen besteht grundsätzlich Vertragsfreiheit, das bedeutet u.a., es liegt am Verhandlungsgeschick der Arbeitsvertragsparteien, eine für sich möglichst günstige Regelung zu treffen. Zwischen dieser Vertragsfreiheit und dem Gebot der Entgeltgleichheit bestand jedoch ein Spannungsverhältnis. Insoweit können nach dem BAG Vertragsfreiheit und Verhandlungsgeschick keine Differenzierungen mehr rechtfertigen bzw. eine Diskriminierung widerlegen.
Ausgehend von der Pressemitteilung hat das BAG sich darauf beschränkt festzustellen, dass die Vermutung einer Diskriminierung nicht allein dadurch widerlegt werden kann, dass der männliche Kollege das höhere Gehalt ausgehandelt hat. Man darf jedoch auf die vollständige Urteilsbegründung des BAG gespannt sein. Denn es bleibt insbesondere abzuwarten, warum die – objektiv – unterschiedliche Verhandlungssituation der betreffenden Mitarbeiter eine Diskriminierung nicht widerlegen konnte. Denn die Beklagte wird wohl ein objektiv berechtigtes Interesse an der Besetzung der offenen Stelle gehabt haben, wenn sie jedenfalls dargelegt hätte, dass sie die Stelle ohne Gewährung einer vergleichsweise höheren Vergütung nicht in absehbarer Zeit anderweitig hätte besetzen können. Der Beklagten ist es in der zugrundeliegenden Entscheidung zumindest nicht gelungen, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung zu widerlegen.
Zu erwartende Auswirkungen für die Praxis
Festzuhalten bleibt, dass unterschiedliche Gehälter zwischen Mitarbeitern unterschiedlichen Geschlechts per se nicht zu einer Gehaltsanpassung führen werden. Insbesondere aufgrund objektiver Umstände lässt sich auch in Zukunft weiterhin eine vermutete Benachteiligung aufgrund des Geschlechts widerlegen. Die Entscheidung wird aber insbesondere für größere Unternehmen Relevanz haben. §§ 10 ff. EntgTranspG räumt nämlich nur Mitarbeitern in einem Betrieb ab 200 Beschäftigten einen Auskunftsanspruch ein. Für alle anderen wird es weiterhin vom Zufall abhängen, ob Kenntnis vom ungleichen Gehaltsgefüge zwischen Mann und Frau erlangt wird. Obgleich die Entscheidung des BAG dem Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer Rechnung tragen möchte, sollte nicht vergessen werden, dass von der ungleichen Entlohnung zunächst Kenntnis erlangt werden muss.