Annahmeverzug und böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes: -Von zumutbarer Tätigkeit und Auskunftsansprüchen bis hin zur sozialrechtlichen Verpflichtung zur Arbeitslosmeldung-
Nach den allgemeinen Regeln muss der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung die Vergütung als Gegenleistung nur entrichten, wenn der Arbeitnehmer gearbeitet hat (Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn!). Die Regeln des Annahmeverzugs stellen eine von zahlreichen arbeitsrechtlichen Durchbrechungen dieses Grundsatzes dar. § 615 BGB erhält dem Arbeitnehmer den Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber sich in Annahmeverzug befindet. In Kündigungsfällen bestimmt sich die Voraussetzung des Annahmeverzugs nach § 615 BGB und § 11 KSchG. Wann der Arbeitgeber auch ohne Arbeit Lohn zahlen muss, ist ein spannendes und regelmäßiges Thema in allen Instanzen. Erst kürzlich gab es dazu wichtige Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und mehrerer Landesarbeitsgerichte. Frau Rechtsanwältin Meyer-Renkes fasst alles, was man dazu wissen muss, zusammen.
Die Frage des Annahmeverzugslohns ist für Arbeitgeber in Kündigungsschutzprozessen ein entscheidender Aspekt im Hinblick auf das finanzielle Risiko. Stellt sich am Ende des Kündigungsschutzprozesses heraus, dass die Kündigung unwirksam war, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich die gesamte Vergütung zahlen, die der Arbeitnehmer ohne Kündigung verdient hätte. Dies gilt, obwohl der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist für den Arbeitgeber nicht mehr gearbeitet hat. Dies ist ein Hauptargument, warum Arbeitgeber Abfindungen in Kündigungsschutzprozessen zahlen.
Besonders, wenn ein langwieriger Prozess zu erwarten ist, lohnt sich für den Arbeitgeber ein Blick auf die Regeln des § 615 S. 2 BGB und des § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG.
Nach der hierin enthaltenen Regel zum böswilligen Unterlassen von anderweitigem Erwerb, können sich Arbeitgeber möglicherweise erhebliche Kosten sparen. Ebenso sollten die Arbeitnehmer diese Vorschriften im Blick haben und sich mit den Voraussetzungen auseinandersetzen um nicht leichtfertig ihre Ansprüche aus Annahmeverzug zu riskieren.
Gemäß § 615 S. 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs insbesondere den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung zu erwerben böswillig unterlässt. Danach muss der Arbeitnehmer während eines Kündigungsschutzprozesses in der Zeit, in der er nicht für seinen (ehemaligen) Arbeitgeber arbeitet, andere zumutbare Erwerbsmöglichkeiten wahrnehmen. Tut er das nicht, verringert sich sein Anspruch gegen den ehemaligen Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer den Prozess am Ende gewinnt.
Maßgebend für die Frage der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Tätigkeit sind die Umstände des Einzelfalles. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich aus verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, wie zum Beispiel der Art der Kündigung, der Art der Tätigkeit oder der sonstigen Arbeitsbedingungen. Nach der Rechtsprechung kann eine anderweitige Tätigkeit dem Arbeitnehmer zumutbar sein, auch wenn sich einzelne Bedingungen (Identität des Arbeitgebers, Vergütung oder Tätigkeit) verändern und ansonsten das Gesamtbild der Tätigkeit weitgehend übereinstimmt und nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist.
Welche Tätigkeiten zumutbar sind, entscheiden die Gerichte im Einzelfall unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles.
Nachstehend werden einige ausgewählte aktuelle und praxisrelevante Entscheidungen zu der Frage der Zumutbarkeit vorgestellt.
So hat sich das BAG mit Urteil vom 19. Mai 2021 (5 AZR 420/20) mit dem Zusammenspiel von § 615 S. 2 BGB und den Folgen eines Widerspruchs eines Arbeitnehmers im Falle eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB auseinandergesetzt. Eine Arbeitnehmerin hatte dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber ihres Teilbetriebs widersprochen. Daraufhin bot die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin an, befristet zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen zu ihrer bisherigen Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin bei der Erwerberin zu arbeiten. Dieses Angebot wurde von der Arbeitnehmerin abgelehnt. Daraufhin informierte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin darüber, dass sie wegen des Teilbetriebsübergangs nicht mehr beschäftigt und keinen Zugang zu den Betriebsstätten haben wird. Ferner teilte sie der Arbeitnehmern mit, dass sie eben auch kein Gehalt mehr bezahlen würde, da sie das Angebot einer zumutbaren und gleichwertigen Beschäftigung abgelehnt habe und stellte die Gehaltszahlung ein. Nachdem die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte und die Arbeitnehmerin auf Gehaltszahlung geklagt hat, entschied das BAG, dass die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf die eingeklagte Gehaltszahlung hat, da die Arbeitnehmerin sich nach § 615 S. 2 BGB einen böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen muss. Die Annahme dieses Angebots und die Weiterbeschäftigung waren laut BAG der Arbeitnehmern trotz ihres Widerspruchs gegen den Betriebsübergang zumutbar.
Nach der Entscheidung des BAG vom 23. Februar 2021 (5 AZR 213/20) ist zu beachten, dass ein Arbeitnehmer je nach den Umständen des Einzelfalles trotz Unwirksamkeit einer Weisung, hier einer unwirksamen Versetzung, die Weisung trotzdem befolgen muss, um den Anspruch auf Annahmeverzugslohn in voller Höhe behalten zu können. In dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt wurde der Kläger auf eine niedriger dotierte Stelle versetzt, gegen die er sich gerichtlich wehrte. In dem vorangegangenen Verfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Versetzung unwirksam war. Im nachfolgenden Verfahren klagte der Arbeitnehmer auf Annahmeverzugslohn. Nunmehr war zu prüfen, ob selbst bei rechtskräftig festgestellter Unwirksamkeit einer Weisung der Arbeitnehmer diese befolgen muss, um den Annahmeverzugslohnanspruch nicht zu verlieren. Das BAG wies den Fall an das LAG zurück, da die Umstände, ob Böswilligkeit vorliege, noch nicht ausreichend aufgeklärt worden seien. Es stellte fest, dass Arbeitnehmer böswillig im Sinne des § 615 S. 2 BGB anderweitigen Verdienst unterlassen würden, wenn ihnen ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass sie während des Annahmeverzuges, trotz Kenntnis aller objektiven Umstände, vorsätzlich untätig bleiben und eine nach Treu und Glauben zumutbare anderweitige Tätigkeit nicht aufnehmen oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindern. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit sei stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der Interessen. Das rechtskräftig die Unwirksamkeit der Weisung festgestellt wurde, schließt ein böswilliges Unterlassen nach § 615 BGB nicht von vornherein aus. Das BAG stellt in seiner Entscheidung aber auch klar, dass im Falle eines Missbrauchs unbilliger Weisung dies bei der Prüfung der Zumutbarkeit bzw. Böswilligkeit ebenfalls zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen sei. Trennungswillige Arbeitgeber dürften unbillige Weisungen nämlich nicht als Spielwiese missbrauchen.
In einer älteren Entscheidung hatte das BAG (Urteil vom 22. März 2017, 5 AZR 337/16) bereits schon entschieden, dass sich der Arbeitnehmer nicht allein darauf berufen können, dass die andere Tätigkeit schlechter bezahlt ist.
Ein böswilliges Unterlassen kann nach dem BAG auch darin liegen, dass ein Arbeitnehmer eine Änderungskündigung, die auf die Änderung der bisherigen, vertraglichen Tätigkeit gerichtet ist, nicht unter Vorbehalt annimmt (Urteil vom 26. September 2007, 5 AZR 870/06).
Es gilt also zu beachten, dass nach der Rechtsprechung eine anderweitige Tätigkeit dem Arbeitnehmer auch dann zumutbar sein kann, wenn sich einzelne Bedingungen (Identität des Arbeitgebers, Vergütung oder Tätigkeit) verändern und ansonsten das Gesamtbild der Tätigkeit weitgehend übereinstimmt und nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist.
In einer jüngeren zweitinstanzlichen Entscheidung hat zum Beispiel das LAG Thüringen mit Urteil vom 6. September 2022 (1 Sa 427/20) in Fortführung der BAG-Rechtsprechung nochmals dazu ausgeführt, dass die Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes beim Arbeitgeber liegt. Ein allgemeiner Hinweis des Arbeitgeber, für den Arbeitnehmer seien auf dem Arbeitsmarkt adäquate freie Stellen vorhanden, reicht zum Beleg einer anderweitigen Verdienstmöglichkeit nicht aus. Das LAG Thüringen führt in seiner Entscheidung zudem aus, dass die Annahme einer unbezahlter Tätigkeit für sich nicht als böswilliges Unterlassen zu sehen ist. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu prüfen, welche Umstände und Gründe zur Übernahme der unentgeltlichen Tätigkeit geführt haben.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 30. September 2022 (6 Sa 280/22) die Rechtsprechung des BAG zum Auskunftsanspruch des Arbeitgebers weiterentwickelt. Das BAG hatte mit Urteil vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der die Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch für die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge hat. Die Auskunft hat sich auf die Vermittlungsvorschläge, unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erstrecken.
In dem, dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg zugrundeliegenden, Sachverhalt hatte der Arbeitnehmer diese Pflicht zunächst erfüllt und die Vermittlungsvorschläge des Jobcenters mitgeteilt. Es war sodann Sache des Arbeitgebers, Indizien anzuführen, aus denen sich die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs ergeben. Dieser Darlegungslast ist der Arbeitgeber aus Sicht des Gerichts nachgekommen, da er nachgewiesen hat, dass der Arbeitnehmer sich nur auf drei von 23 Ermittlungsvorschlägen beworben hatte, sich der Arbeitnehmer erst ein Jahr nach Beginn der Annahmeverzugsansprüche erstmalig beworben hat und der Arbeitnehmer auf mehrere Nachfragen von potentiellen Arbeitgebern nicht reagiert hat und er sich nicht bei potentiellen Arbeitgebern zum Stand der Bewerbungsverfahren erkundigt hat, nachdem er keine Rückmeldung erhalten hatte. Zudem ist in den Entscheidungsgründen auch ausgeführt, dass die Anzahl von nur 103 Bewerbungen im Zeitraum von 29 Monaten für eine ungenügende Bemühung spricht und der Kläger an jede Stelle ein einheitliches Anschreiben versendete, ohne dieses auch nur im Ansatz auf die konkrete Stelle anzupassen.
Abschließend wird auf die aktuelle Entscheidung des BAG vom 12.10.2022 (5 AZR 30/22) hingewiesen. Mit dem vorgenannten Urteil hatte das BAG entscheiden, dass die Verletzung der sozialrechtlichen Verpflichtung zur Arbeitslosmeldung nach § 38 Abs. 1 SGB III auch im Rahmen von Streitigkeiten über Annahmeverzugsvergütung bei der Auslegung des Begriffes des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG zu berücksichtigen ist!
Der Arbeitnehmer, der bei der Beklagten in leitender Position tätig war, hatte in dem Streit über den Annahmeverzugslohn vorgetragen, dass er keine Obliegenheit habe, die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen. Auch würden Positionen wie seine als Experte im öffentlichen Auftragswesen für Rüstungsgüter nicht über die Agentur für Arbeit vermittelt, sondern nur über private Personalvermittler. Das BAG sieht hingegen eine Obliegenheit zur Arbeitslosmeldung als gegeben an und führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass der Arbeitnehmer nach § 11 Nr.2 KSchG nicht vorsätzlich verhindern dürfe, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird.
Praxishinweis:
Maßgeblich für die Frage zumutbaren Verhaltens sind die Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Tätigkeit oder in den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch vertragsrechtliche Umstände sind zu berücksichtigen.
Auf welcher rechtlichen Grundlage die Beschäftigung erfolgen soll, ist nicht maßgeblich. Auch eine Beschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung außerhalb eines vereinbarten Prozessarbeitsverhältnisses wird als zumutbar erachtet. Die Zumutbarkeit einer Tätigkeit für den bisherigen Arbeitgeber kann von der Art der Kündigung und ihrer Begründung wie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess abhängen. Bei einer betriebsbedingten Kündigung wird dem Arbeitnehmer die Weiterarbeit zu den bisherigen Arbeitsbedingungen regelmäßig zumutbar sein. Demgegenüber können bei verhaltensbedingten Kündigungen die Art und Schwere der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit begründen, wenn diese unberechtigt und geeignet sind, das Ansehen des Arbeitnehmers zu beeinträchtigen und der Arbeitnehmer erkennen lässt, dass er unter diesen Umständen eine Weiterbeschäftigung für unzumutbar erachtet.
Auch der Zeitpunkt des Arbeitsangebots kann die Unzumutbarkeit begründen. Der Arbeitnehmer muss eine deutliche Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren, wenn er berechtigte Aussichten hat, rechtzeitig eine für ihn günstigere Arbeit zu finden.
Im Kündigungsschutzprozess gibt es für den Arbeitgeber die Möglichkeit, sein Annahmeverzugsrisiko dadurch zu vermindern, in dem er dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit, auch zu einem reduzierten Gehalt, anbietet oder ihm sonstige alternative Erwerbsmöglichkeiten aufzeigt, durch Weiterleitung z.B. von Stellenangeboten.
Darüber hinaus sollte der Arbeitgeber auch seinen Anspruch auf Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit etc. ins Spiel bringen.
Im Prozess um Annahmeverzugslohnansprüche kann der Arbeitnehmer aufgefordert werden, seine Arbeitslosmeldung nachzuweisen.
Dem Arbeitnehmer sollte ebenfalls bewusst werden, dass das Angebot zur Weiterbeschäftigung durch den bisherigen Arbeitgeber nicht ohne Weiteres abgelehnt werden kann, sondern eine Ablehnung die Annahmeverzugsansprüche nur dann berühren, wenn keine Zumutbarkeit vorliegt.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Arbeitgeber Auskunftsansprüche über Vermittlungsangebote der Bundesagentur für Arbeit hat und diese nach einem Auskunftsbegehren durch den Arbeitnehmer vorzulegen sind.
Meldet sich der Arbeitnehmer nicht arbeitssuchend, kann dies den Annahmeverzugslohnanspruch entfallen lassen. Arbeitnehmern, inkl. leitenden Angestellten und Führungskräften, ist daher zu empfehlen, ihrer Pflicht zur Arbeitslosmeldung nach § 38 Abs. 1 SGB III nachzukommen
Gelingt dem Arbeitgeber der Nachweis alternativer Arbeitsmöglichkeiten, muss der Arbeitnehmer wiederum erklären, warum bestimmte Angebote für ihn nicht in Betracht kommen.