Grundsatzentscheidung des BAG: Versetzung ins Ausland grundsätzlich zulässig! Zündstoff für zukünftige Umstrukturierungs- und Trennungsprozesse?
Kurz vor Jahresende hatte das Bundesarbeitsgericht am 30. November 2022 (5 AZR 336/21) über die Frage zu entscheiden, ob der Arbeitgeber auch dazu berechtigt sein kann den Arbeitnehmer anzuweisen, seine Arbeitsleistung von einem Ort außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aus zu erbringen.
Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht dem Grunde nach bejaht. Über die Hintergründe und auch was aus der Entscheidung folgt, berichtet Herr Rechtsanwalt Hans Reinholz aus Frankfurt.
Um was genau ging es in dem Verfahren?
Der Kläger ist ein Pilot der Fluggesellschaft Ryanair, einer international tätigen Luftverkehrsgesellschaft mit Sitz im europäischen Ausland, der am Flughafen in Nürnberg stationiert war. Zum 01.01.202 ging dessen Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf eine zur Ryanair gehörende Fluggesellschaft mit Sitz und Heimatbasis auf dem Flughaften von Malta über, die an diversen Flughäfen in Deutschland, Italien, Frankreich und Rumänien internationale Flüge durchführt. Der maßgebliche Arbeitsvertrag sieht vor, dass der Kläger auch an anderen Standorten der Gesellschaft stationiert werden kann. Für diesen Fall soll er dann eine Vergütung nach dem dort jeweils geltenden System erhalten.
Die Arbeitgeberin hatte mit der Pilotengewerkschaft Cockpit e.V. im Jahr 2019 u.a. einen Tarifsozialplan abgeschlossen, der ein mehrstufiges Prozedere für die Beseitigung eines Pilotenüberhangs in Deutschland vorsah, der infolge der beabsichtigten Stilllegung bzw. Einschränkung von Stationierungsorten für die Piloten der Ryanair in Deutschland erwartet wurde. In den Stufen 1 bis 3 sollte zunächst die Versetzung betroffener Piloten auf offene Stellen an einem nahegelegenen Flughafen, die freiwillige Änderung des Stationierungsortes auf eine freie Position innerhalb oder außerhalb Deutschlands sowie das Angebot von Arbeitsverträgen als mobile Piloten nach Verfügbarkeit erfolgen. Für den Fall, dass danach noch ein Personalüberhang verblieb, eröffnete Stufe 4 die Möglichkeit, dass Piloten arbeitgeberseitig per Versetzung oder Änderungskündigung einem anderen Stationierungsort in EU-Ländern (einschließlich Großbritannien, Norwegen und der Schweiz) zugewiesen werden können. Die Auswahl der Piloten sollte dabei auf Grundlage von Sozial- und Leistungskriterien nach einem Punktesystem erfolgen. In der letzten Stufe 5 sollte bei nach Ausschöpfung der Stufen 1 bis 4 weiterhin fortbestehendem Personalüberhang die Möglichkeit einer Beendigungskündigung aus betriebsbedingten Gründen bestehen.
Im Dezember 2019 informierte die Arbeitgeberseite u.a. die in Nürnberg stationierten Piloten über den bevorstehenden Betriebsübergang auf die Beklagte sowie darüber, dass die Station in Nürnberg geschlossen wird. Des Weiteren wurden die Piloten darüber informiert, dass die Ryanair mit dem 31.12.2019 nicht mehr aus deutschen Basen heraus arbeiten werde, sondern alle Flüge aus Deutschland im Rahmen eines sog. „Wet-Lease“ durch die Beklagte erbracht werden sollen. Alle Piloten wurden zudem aufgefordert ihre Base-Präferenzen mitzuteilen, was u.a. durch den Kläger nicht erfolgt ist.
Im Januar 2020 wurde der Kläger mit Wirkung zum 01.05.2020 nach Bologna / Italien versetzt. Vorsorglich erfolgte auch eine Änderungskündigung.
Kann ein Arbeitgeber die Arbeitnehmer*innen ins Ausland versetzen?
Der Kläger widersprach der Versetzung und nahm die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt an, dass diese nicht sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
Klage gegen die Versetzung und Entscheidung des Vorinstanzen
Mit seiner Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit der Versetzung als auch der Änderungskündigung geltend und begehrte die Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen.
Der Kläger vertrat die Auffassung, dass die Versetzung ins europäische oder außereuropäische Ausland weder nach dem Arbeitsvertrag noch dem Tarifsozialplan gerechtfertigt sei. Die arbeitsvertragliche Versetzungsklausel hielt er unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten für unwirksam, da diese sowohl unbestimmt als auch intransparent sei. Die Versetzung gehe auch über das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO hinaus, da dieses keine Versetzung ins Ausland erfasse. Diese sei zumindest unbillig, da ihm auch sein tariflicher Vergütungsanspruch aus einem bestehenden Vergütungstarifvertrag entzogen werde und ihm auch sonst erhebliche Nachteile entstünden.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg haben die Klage abgewiesen und die Versetzung an die Homebase der Beklagten am Flughafen Bologna als von § 106 GewO gedeckt angesehen.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg (Urteil vom 23. April 2021 – 8 Sa 450/20) gerichtete Revision des Klägers blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos.
Das Bundesarbeitsgericht stellte in seiner Grundsatzentscheidung fest, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für den Fall, dass – wie im Streitfall – im Arbeitsvertrag kein bestimmter inländischer Arbeitsort vereinbart ist oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart wurde, aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts auch anweisen könne, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten. Zumal, wenn der Arbeitsvertrag sogar eine unternehmensweite Versetzungsmöglichkeit vorsehe.
Das Weisungsrechtes des Arbeitgebers aus § 106 GewO – so das Bundesarbeitsgericht - umfasse in dergleichen Fällen auch eine Versetzung an einen ausländischen Arbeitsort. Entgegen der Auffassung der Klägerseite lasse sich der gesetzlichen Regelung des § 106 GewO gerade keine Begrenzung des Weisungsrechtes auf inländische Arbeitsorte und das Territorium der Bundesrepublik Deutschland entnehmen.
Der Arbeitgeber habe allerdings bei der Ausübung des Weisungsrechts eine Billigkeitskontrolle im Einzelfall durchzuführen, d.h. es ist zu prüfen ob die Versetzung dem Arbeitnehmer zumutbar ist.
Dass die Maßnahme billigem Ermessen entspricht, habe das Landesarbeitsgericht dabei rechtfehlerfrei angenommen. Die Versetzung sei unmittelbare Folge der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten die Station am Flughafen Nürnberg aufzugeben, womit die Möglichkeit einer Stationierung des Klägers in Nürnberg entfallen sei. Das mit der Gewerkschaft für diesen Fall im Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren habe die Beklagte auch eingehalten. Weder gebe es offene Stellen an einem anderen inländischen Stationierungsort noch wäre ein Einsatz als „Mobile Pilot“ möglich gewesen. Eine Base-Präferenz habe der Kläger ebenfalls nicht angegeben. Zuletzt seien auch alle anderen vormals am Standort Nürnberg stationierten Piloten an einen Standort in Italien versetzt worden.
Dass der Kläger den Anspruch auf das in einem Vergütungstarifvertrag vereinbarte höhere Entgelt verliere, läge an dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrages, der auf in Deutschland stationierte Piloten beschränkt sei. Der Tarifsozialplan sehe zudem vor, dass Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen und Gehältern weiterbeschäftigt werden.
Dass die Beklagte die mit der Versetzung verbundenen Nachteile des Klägers, der seinen Wohnort in Nürnberg beibehalten möchte, nicht über die in dem Tarifsozialplan vorgesehenen Leistungen hinaus ausgleiche, führe ebenfalls nicht zu einer Unbilligkeit im Sinne des § 106 Satz 1 GewO.
Aufgrund der Wirksamkeit der Versetzung kam es auf die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung im Übrigen nicht (mehr) an.
Bewertung für die Praxis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beinhaltet „Sprengstoff“.
In einer Vielzahl von Arbeitsverträgen finden sich keine expliziten Vereinbarungen zum Arbeitsort. Demgegenüber finden sich regelmäßig Versetzungsvorbehalte, wonach es dem Arbeitgeber gestattet sein soll den Arbeitnehmern auch andere Tätigkeiten zuzuweisen, einschließlich der Zuweisung eines neuen Arbeitsortes. Somit verbleibt es vielfach bei dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht nach § 106 GewO. Danach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, einen anwendbaren Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
Nach diesseitiger Einschätzung muss vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts somit damit gerechnet werden, dass insbesondere im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen in international agierenden Unternehmen, die über Niederlassungen oder Tochtergesellschaften im Ausland verfügen, zukünftig die Versetzung ins Ausland eine Rolle spielen wird um sich von ungeliebten oder teuren Mitarbeitern zu trennen.
In der Vergangenheit war bereits wiederholt zu beobachten, dass Unternehmen Aufgabenbereiche ins Ausland, insbesondere in benachbarte EU-Länder mit niedrigerem Gehaltsniveau, verlagert haben. Insbesondere bei Unternehmen, deren Hauptsitz nicht in der Bundesrepublik Deutschland ist, sondern die im Inland lediglich über eine oder mehrere Niederlassungen verfügen, ergeben sich nunmehr aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zusätzliche Möglichkeiten und Anreize für eine möglichst kostengünstige Umstrukturierung und Verlagerung von Aufgabenbereichen ins (EU-) Ausland oder auch schlicht dafür, sich möglichst kostengünstig von einzelnen oder einer (kleineren) Gruppe von Mitarbeitern zu trennen. Hier dürfte in der Zukunft damit zu rechnen sein, dass Mitarbeiter sich in der Situation wiederfinden werden, vor die Wahl gestellt zu sein, entweder ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlagern und damit einhergehend ggf. eine Verschlechterung ihrer (arbeits-)rechtlichen Position einschließlich der Vergütung zu akzeptieren oder aber einer (kostengünstigen) Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses zuzustimmen oder sogar eine Eigenkündigung in Erwägung zu ziehen.
Für Arbeitsverhältnisse mit Unternehmen, deren Haupt- oder Alleinsitz in der Bundesrepublik Deutschland liegt, mag die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zwar wenig relevant und zu vernachlässigen erscheinen. Dies jedoch nur auf den ersten Blick. Auch hier sind Konstellationen bzw. Entwicklungen denkbar, bei denen sich vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Rechtsnachteile ergeben können. Dies insbesondere bei (Teil-) Betriebsübergängen, Betriebsveräußerungen oder Verschmelzung nach (Teil-) Veräußerung und nachfolgender Umstrukturierung.
Empfehlung für die Praxis
Bei Neuabschluss von Arbeitsverträgen sollte zur Absicherung darauf geachtet werden, dass einerseits der Ort der Arbeitsleistung vertraglich fixiert ist und Versetzungsklauseln die Versetzung an einen anderen Ort entweder ausschließen oder auf eine Versetzung innerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland beschränkt werden. Fehlt es in bestehenden Arbeitsverträgen an solchen Regelungen, sollte bei Gelegenheit etwaiger Änderungen sowie Anpassungen der Arbeitsverträge darauf geachtet bzw. darauf gedrängt werden, dass entsprechende Regelungen Eingang in die vertraglichen Vereinbarungen finden.