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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Kein Verfall und auch keine Verjährung von Urlaubsansprüchen, wenn der Arbeitgeber seine Unterrichtungsobliegenheit verletzt!

Das Bundesarbeitsgericht hat uns kurz vor Weihnachten noch zwei Entscheidungen zum Urlaubsrecht unter den Baum gelegt. Viel wird darüber geschrieben, dass dies für die Unternehmen weitreichende Folgen habe. Herr Rechtsanwalt Nikolaos Siametis fasst die maßgeblichen Entscheidungen zusammen und stellt die Folgen für die Praxis dar.

Mit zwei Entscheidungen vom 20. Dezember 2022 (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 266/20; Az.: 9 AZR 245/19) hat das BAG klargestellt, dass Urlaub nur verjährt bzw. verfällt, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt. Fehlt es hieran, können auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden. Auf die regelmäßige dreijährige Verjährung nach nationalem Recht können sich Arbeitgeber in diesen Fällen nicht mit Erfolg berufen. Das BAG setzt mit diesen Urteilen zwingende Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 22. September 2022, Az.: C-120/21; C-518/20 und C-727/20) um.

Keine Verjährung von Urlaubsansprüchen

In einem Fall (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 266/20) verlangte eine ehemalige Arbeitnehmerin die Abgeltung, der von ihr zwischen dem Jahr 2013 und dem Jahr 2017 nicht genommenen 101 Urlaubstage, was der Arbeitgeber ablehnte. Der Arbeitgeber argumentierte, dass die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin gem. § 7 Abs. 3 BUrlG erloschen seien, zumindest aber seien sie verjährt, da die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin gem. §§ 195, 199 BGB drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem sie entstanden, geltend gemacht worden sind. Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht wies die Klage hinsichtlich der nach deutschem Recht verjährten Urlaubsansprüche ab und verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung des restlichen Urlaubs aus dem Jahr 2017. Das Landesarbeitsgericht hingegen gab der Arbeitnehmerin in vollem Umfang Recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung des Urlaubs aus den Vorjahren.

Auf die hiergegen von dem Arbeitgeber eingelegte Revision, hat das BAG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 7 der RL 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der EU-GrCh dahingehend auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.

Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof wie folgt beantwortet:

Dem Urlaubsanspruch komme als Grundsatz des Sozialrechts der Union besondere Bedeutung zu. Die regelmäßige Verjährung nach § 195 BGB bewirke, dass der Urlaubsanspruch aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 einer Einschränkung unterliege. Folglich liege damit auch eine Einschränkung des Rechts vor, das Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta zuerkennt. In der EU-GRCharta verankerte Grundrechte dürften nur unter Einhaltung der in Art. 52 Abs. 1 der GRCharta vorgesehenen strengen Bedingungen eingeschränkt werden. Diese Einschränkungen müssten gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt des betreffenden Rechts achten sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und von der EU anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen tatsächlich entsprechen. Insoweit verfolge die Verjährungsvorschrift des § 195 BGB ein legitimes Ziel, nämlich die Gewährleistung der Rechtssicherheit. Dieses Interesse sei indes dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich dadurch, dass er davon abgesehen habe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen, selbst in eine Situation gebracht habe, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert werde und aus der er zu Lasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Vorliegend sei es Sache des Arbeitgebers, gegen späte Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkomme, womit die Rechtssicherheit gewährleistet werde, ohne dass das in Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta verankerte Grundrecht eingeschränkt würde. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta sind mithin dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen dreijährigen Verjährungsfrist entgegenstehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen.

Das BAG hat in seiner Entscheidung (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 266/20) die Vorgaben des EuGH umgesetzt. In der Pressemitteilung heißt es, dass die Gewährleistung der Rechtssicherheit nicht als Vorwand dienen dürfe, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.

Die Ansprüche der Arbeitnehmerin sind daher weder am Ende des Kalenderjahres gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG oder eines zulässigen Übertragungszeitraums gem. § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG verfallen, noch konnte der Arbeitgeber mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Arbeitnehmerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben, da die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres beginnt, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

 Kein Verfall von Urlaubsansprüchen

In einem weiteren Fall musste das BAG klären (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 245/19), ob ein Urlaubsanspruch besteht, wenn Urlaubsansprüche für ein Jahr geltend gemacht werden, in dessen Laufe man aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig bzw. erwerbsgemindert war. Der Arbeitnehmer machte gegenüber dem Arbeitgeber seinen Jahresurlaub i.H.v. 34 Tagen aus dem Jahr 2014 geltend. Der Arbeitnehmer bezog infolge einer schweren Behinderung seit dem 1. Dezember 2014 eine Rente wegen voller, aber nicht dauerhafter Erwerbsminderung. Seinen Urlaub hat er im Jahr 2014 aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in Anspruch nehmen können. Der Arbeitgeber war seiner Obliegenheit nicht nachgekommen, an der Gewährung und Inanspruchnahme des Jahresurlaubes mitzuwirken. Nach Ansicht des Arbeitnehmers sei sein Urlaubsanspruch aus dem Jahre 2014 nicht verfallen. Der Arbeitgeber hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers sei mit Ablauf des 31. März 2016 erloschen. Denn, wenn ein Arbeitnehmer – wie vorliegend der Arbeitnehmer aufgrund der vollen Erwerbsminderung – aus gesundheitlichen Gründen langandauernd außerstande ist, seinen Urlaub anzutreten, trete der Verfall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ein.

Der Arbeitgeber berief sich auf den Verfall des Urlaubs nach Ablauf von 15 Monaten, ab Ende des jeweiligen Urlaubsjahres. Denn nach deutschem Recht verfällt der Urlaubsanspruch normalerweise nach 15 Monaten.

Das BAG setzte auch hier das Verfahren zunächst aus und legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor. Der Europäische Gerichtshof sollte darüber entscheiden, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit bzw. bei ununterbrochen fortbestehender voller Erwerbsminderung, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest noch teilweise hätte nehmen können.

Insoweit hat der Urlaubsanspruch durch den Europäischen Gerichtshof eine weitere Stärkung erfahren.

Unionsrecht steht einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, die die Möglichkeit, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränkt, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsieht, nach deren Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Diese Möglichkeit hat der Europäische Gerichtshof den Mitgliedsstaaten bereits eröffnet und bei arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern einen maximalen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorgegeben, um im Interesse der Arbeitgeber eine Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten zu vermeiden (EuGH, Urteil vom 22. November 2011, Rs. C-214/10). Es obliegt jedoch weiterhin dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub tatsächlich zu nehmen. Verletzt der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten, muss er die sich daraus ergebenden Folgen tragen. In dem zu entscheidenden Fall betraf der Urlaubsanspruch einen Bezugszeitraum, in dem der Arbeitnehmer noch gearbeitet hat, bevor dieser voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig geworden ist. Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zuvor rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auch geltend zu machen, verfällt der Urlaubsanspruch nicht. Bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit ist mithin zwischen Urlaubsansprüchen, die vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden und solchen, die während der Arbeitsunfähigkeit erworben werden, zu unterscheiden. Urlaubsansprüche, die erst während der Arbeitsunfähigkeit erworben werden, verfallen nach wie vor nach Ablauf von 15 Monaten ab Ende des Urlaubsjahres, ohne, dass es auf eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers ankommt. Urlaubsansprüche, die hingegen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, verfallen ohne Mitwirkungshandlung nicht.

Unter Zugrundelegung der entsprechenden Rechtsgrundsätze hat das BAG entschieden, dass der für das Jahr 2014 noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch nicht allein deshalb mit Ablauf des 31. März 2016 erlöschen konnte, weil der Arbeitnehmer nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung mindestens bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten. Der Resturlaub blieb ihm für dieses Jahr vielmehr erhalten, weil der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 1. Dezember 2014 nicht nachgekommen ist, obwohl ihm dies möglich war.

Bewertung für die Praxis

Das im deutschen BUrlG angelegte „Fristenregime“ hat durch die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des BAG eine weitere Aufweichung erfahren. Aber auch die nationalen Verjährungsvorschriften bieten keine Rechtssicherheit mehr, da es nach dem Europäischen Gerichtshof keine Rolle spielt, ob der Arbeitnehmer von den seinen Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, um den Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 BGB in Gang zu setzen. Maßgeblich ist, ob der Arbeitgeber seine Unterrichtungsobliegenheit erfüllt hat, damit Urlaubsansprüche verfallen beziehungsweise verjähren können.

Solange Arbeitgeber ihrer Unterrichtungsobliegenheit nicht nachkommen, müssen sie mithin mit der Geltendmachung von Resturlaubsansprüchen rechnen. Die Erfolgschancen der Geltendmachung dürften dann davon abhängen, ob Arbeitnehmer darlegen und beweisen können, dass ihnen Resturlaubsansprüche zustehen und falls sie hierzu nicht in der Lage sein sollten, es aufgrund der Verletzung der Unterrichtungsobliegenheit zu einer Verschiebung der Darlegungs- und Beweislast zugunsten des klagenden Arbeitnehmers kommt. Aus der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG lässt sich in diesem Zusammenhang jedoch noch nichts ableiten.

Erfüllt der Arbeitgeber hingegen seine Unterrichtungspflicht, können die Ansprüche verfallen bzw. verjähren.

Nikolaos Siametis, Rechtsanwalt

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