Weiterbildung und Vertragsstrafen bei Verstoß gegen befristeten Ausschluss der ordentlichen Kündigung
Derzeit, so hat es den Anschein, haben wir einen Arbeitnehmerarbeitsmarkt. Viele Arbeitgeber sind dringend auf der Suche nach Fachkräften und versuchen Arbeitnehmern ein möglichst attraktives Paket zu schnüren. Sowohl im Rahmen der Gewinnung von Mitarbeitern als auch um diese zu halten, wird vielfach die Möglichkeit zur Teilnahme an Fortbildungen bzw. Weiterbildungen auf Kosten des Arbeitgebers eingeräumt. Im Gegenzug hat der Arbeitgeber dann naturgemäß aber ein Interesse daran, dass ihm die Weiterqualifizierung des Mitarbeiters, die mitunter mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist, auch möglichst lange zu Gute kommt.
In diesem Zusammenhang treffen Arbeitgeber mit Ihren Mitarbeitern entweder bereits im Arbeitsvertrag oder gesondert hiervon Vereinbarungen, mit denen sie ihre Interessen bzw. das Invest in den Mitarbeiter absichern zu versuchen. Die rechtlichen Hintergründe und die maßgebliche Rechtsprechung fasst Herr Rechtsanwalt Hans Reinholz zusammen.
In einem Urteil vom 20. Oktober 2022, dass nunmehr mit den vollständigen Entscheidungsgründen vorliegt, hatte sich das Bundesarbeitsgericht (8 AZR 332/21) mit der Frage zu befassen ob und unter welchen Voraussetzungen die Vereinbarung von Vertragsstrafen für den Fall des Verstoßes eines Arbeitnehmers gegen ein zeitlich befristen Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung während einer Weiterbildung zulässig ist.
Um was genau ging es in dem Verfahren?
Die Klägerin ist Ärztin und war seit dem 01.02.2016 in einer Gemeinschaftspraxis als ärztliche Mitarbeiterin zur Weiterbildung zur Fachärztin beschäftigt. Arbeitsvertraglich wurde die ordentliche Kündigung für einen Zeitpunkt vor Ablauf des 31.07.2019 ausgeschlossen. Danach sollte das Arbeitsverhältnis mit den gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich kündbar sein. Für den Fall, dass die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis nach Ablauf einer vereinbarten Probezeit vertragswidrig lösen sollte, wurde zwischen den Parteien unter anderem vereinbart, dass diese eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu bezahlen habe, höchstens jedoch einen Betrag der in der Höhe der Bruttovergütung entspricht, die bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfällt.
Zum 01.01.2017 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über, die ein medizinisches Versorgungszentrum betreibt.
Mit Beginn des Arbeitsverhältnisses begann für die Klägerin der erste Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin. Die Weiterbildungsbefugnis ihrer Arbeitgeber erstreckte sich jedoch lediglich auf 30 Monate ambulante und 12 Monate stationäre Versorgung. Damit hätte die Klägerin nach 42 Monaten ihre Facharztausbildung bis zum Abschluss bei einem anderen Träger fortführen müssen.
Während der Weiterbildung standen der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit die ausbildenden Ärzte bei Bedarf unterstützend zur Verfügung. Diese überwachten zudem die Weiterbildung, indem sie die Weiterbildungsnachweise prüften. Insgesamt nahm dies zwischen 20 und 40 Minuten täglich in Anspruch.
Nachdem die Klägerin das Arbeitsverhältnis aus familiären Gründen ordentlich zum 28.02.2018 gekündigt hatte, behielt die Beklagte im Wege der Aufrechnung mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern das Nettoentgelt für Februar 2018 ein und machte gegenüber der Klägerin noch den verbleibenden Differenzbetrag der Vertragsstrafe geltend.
Entscheidung der Vorinstanzen
Die Klägerin nahm die Beklagte gerichtlich auf Zahlung des Arbeitsentgeltes für den Monat Februar 2018 in Anspruch. Dem trat die Beklagte entgegen und begehrte im Wege der Widerklage eine Verurteilung der Klägerin zur Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe abzüglich des bereits einbehaltenen Betrages.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte sich auf den arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss nicht berufen könne, da dieser eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Berufsfreiheit und damit eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirke, diese zudem intransparent und überraschend sei sowie einer Angemessenheitskontrolle nicht standhalte.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gaben der Klage statt und wiesen die Widerklage ab.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 10.05.2021 – 1 Sa 12/21) gerichtete Revision der Beklagten wurde durch das Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung, sah das Bundesarbeitsgericht die Vereinbarung der Vertragsstrafe nicht als überraschend an, das diese im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument verbreitet seien.
Ebenfalls sei die Klausel auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam, da in dieser das die Vertragsstrafe auslösende Fehlverhalten des Arbeitnehmers präzise beschrieben sei, nämlich das der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit löst, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt. Für unschädlich sah es das Bundesarbeitsgericht dabei an, dass in der Klausel nicht ausdrücklich geregelt sei, dass die Vertragsstrafe nur dann verwirkt ist, wenn die Vertragsverletzung auf einem Verschulden des Arbeitnehmers beruht. Ebenfalls ergebe sich aus der Regelung eindeutig die Höhe der Vertragsstrafe, nämlich grundsätzlich drei Bruttomonatsvergütungen. Diese sei zudem auch höchstens auf den Betrag beschränkt, der der Bruttovergütung entspricht, die auf den Zeitraum zwischen der vertragswidrigen Loslösung bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfällt.
Die Beklagte könne jedoch bereits deswegen von der Klägerin nicht die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen, weil die Vereinbarung über die Höhe der Vertragsstrafe zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führe und damit unwirksam sei. Die Regelung beinhalte ein Übersicherung der Beklagten, da sie auch dann dazu berechtigt wäre eine Vertragsstrafe zu fordern, wenn das Arbeitsverhältnis bereits unmittelbar nach Ablauf der vereinbarten Probezeit gekündigt wird. Dass dies hier nicht der Fall war, sei unerheblich, da die §§ 307 ff. BGB bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen missbilligen, nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Einzelfall. Damit seien auch solche Klauseln unwirksam, die in ihrem Übermaßanteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, dass sich im Entscheidungsfall nicht realisiert habe.
Aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die für eine fristgerechte Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfristen, einen relevanten Abwägungsgesichtspunkt zur Feststellung der Angemessenheit der Höhe der Vertragsstrafe darstellen können ergebe sich nicht anderes. Diese Rechtsprechung sei nämlich für andere Fallgestaltungen entwickelt, in denen die Kündigung nicht – wie hier – langfristig ausgeschlossen sei.
Das Bundesarbeitsgericht erkannte zwar das gesteigerte Interesse des Arbeitgebers, sich den hohen Wert der vertraglich für einen langen Zeitraum versprochenen Arbeitsleistung zu sichern, an. Dieses sah es aber nicht als ausreichend an, dass der Arbeitgeber berechtigt ist im Falle einer Kündigung vor Ablauf der langfristigen Bindung eine Vertragsstrafe zu fordern, deren Höhe die bis zum Ablauf des vereinbarten Kündigungsausschlusses ausstehende Vergütung erreicht.
Auch sah das Bundesarbeitsgericht den täglichen Aufwand des Arbeitgebers, der mit der Weiterbildung einher geht, nicht geeignet zur Rechtfertigung der Vertragsstrafe. Da dieser üblicherweise bei Beginn der Ausbildung höher sei und im weiteren Verlauf abnehme, während die Qualität der Arbeitsleistung mit der fortschreitenden Ausbildung zunehme, erweise sich die Vertragsstrafe jedenfalls nicht für den gesamten Zeitraum des Kündigungsausschlusse als interessengerecht. Hinzu komme, dass bei einer vertragswidrigen Lösung während der Probezeit überhaupt keine Vertragsstrafe anfallen sollte.
Das Bundesarbeitsgericht stellte jedoch klar, dass sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB keine generelle Obergrenze in Höhe eines Bruttomonatsentgelts für eine wirksame Vertragsstrafe herleiten lasse. Es sei vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Arbeitnehmer durch die Höhe unangemessen benachteiligt werde.
Ob in dem konkreten Fall die im Arbeitsvertrag geregelte Vertragsstrafe überhaupt verwirkt, d.h. das Arbeitsverhältnis vertragswidrig gekündigt worden sei, oder ob die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über den befristeten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung wegen unangemessener Beteiligung der Klägerin im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist, wie es das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg angenommen hatte, konnte nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht hingegen dahinstehen.
Bewertung für die Praxis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt einmal mehr, die hohen Anforderung, die das Bundesarbeitsgericht an die Wirksamkeit von Vereinbarungen knüpft, die der Absicherung des Invests des Arbeitsgebers in Mitarbeiter dient. Dies hatte sich in der Vergangenheit bereits im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln für Kosten der Weiterbildung, für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nach deren Abschluss innerhalb einer bestimmten Frist beendet wird, wiederholt gezeigt. Dementsprechend ist bei (dem Versuch) der Absicherung besondere Sorgfalt darauf zu verwenden bei der Formulierung und Ausgestaltung eine möglichst ausgeglichen Regelung aufzusetzen, die insbesondere dem sich durch Zeitablauf verändernden Sicherungsbedürfnis Rechnung trägt. Die durch das Bundesarbeitsgericht in der nunmehr ergangenen Entscheidung aufgestellten Rechtsgrundsätze können hierbei weiterhelfen. Die Aufgabe stellt aber nach wie vor eine große Herausforderung dar.