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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Betriebsratswahl – weniger Kandidaten als Betriebsratssitze

Einen für die betriebliche Praxis interessanten Sachverhalt hatte das Bundesarbeitsgericht am 24.04.2024 (7 ABR 26/23) zu entscheiden. Gegenstand des Beschlussverfahrens war eine Betriebsratswahl, bei der sich weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz beworben hatten als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind.

Der Sachverhalt

Die Arbeitgeberin ist Trägerin einer Klinik. Regelmäßig sind dort circa 170 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Die Zahl der Betriebsratsmitglieder richtet sich nach § 9 BetrVG. § 9 BetrVG sieht bei dieser Betriebsgröße einen aus 7 Mitgliedern bestehenden Betriebsrat vor. Im Frühjahr 2022 wurde eine Betriebsratswahl eingeleitet. Es kandidierten jedoch nur 3 Arbeitnehmerinnen. Es wurde letztlich auch nur ein Betriebsrat mit 3 Mitgliedern gewählt. Die Arbeitgeberin hat diese Wahl für nichtig gehalten und beim Arbeitsgericht in einem Beschlussverfahren eine entsprechende Feststellung begehrt.

Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl für wirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 01.02.2023 (5 TaBV 7/22) die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Dagegen hat die Arbeitgeberin bei dem BAG Rechtsbeschwerde eingereicht. Diese blieb jedoch erfolglos.

Die Entscheidung

Das BAG ist der Auffassung, dass die Betriebsratswahl rechtmäßig gewesen ist. Zunächst war von dem BAG zu prüfen, ob die Wahl nichtig oder lediglich anfechtbar war. In § 19 BetrVG sind die Voraussetzungen für die Anfechtung der Betriebsratswahl geregelt:

(1.) Der Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren,

(2.) Keine Berichtigung dieses Verstoßes,

(3). Mögliche Kausalität des Verstoßes für das Wahlergebnis und

(4.) Die Anfechtungsfrist und die Anfechtungsberechtigung.

Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine Betriebsratswahl dann nichtig, wenn gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Dies war im vorliegenden Sachverhalt nicht der Fall. So haben die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit beispielsweise allein die Verkennung der zutreffenden Wahleinheit bei einer fälschlichen Annahme eines betriebsratsfähigen Betriebes attestiert, dass keine Nichtigkeit der Wahl vorliege. Allein wenn kein betriebsratsfähiger Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 1 BetrVG vorliegt, war die durchgeführte Wahl nichtig (vgl. LAG Hessen, 22.11.2005 – 4 Ta BV 165/05; Fitting § 19 BetrVG Rd. 5).

Nach dieser Rechtsprechung konnte im hier zu entscheidenden Sachverhalt die Nichtigkeit einer Wahl nicht festgestellt werden.

Das BAG hat aber auch festgestellt, dass ebenfalls eine Anfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG ausscheidet. Das BAG hat ausgeführt, dass es der Wahl eines Betriebsrats nicht entgegensteht, wenn sich nicht genügend Bewerber für das Betriebsratsamt finden. Dies folge vor allem aus § 1 Abs. 1 BetrVG. Darin habe der Gesetzgeber den Willen ausgedrückt, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Bei der Betriebsratsgröße sei in der Konstellation von weniger Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht. Hierzu ist ein Blick auf § 9 BetrVG (Zahl der Betriebsratsmitglieder) zu werfen. Dieser lautet auszugsweise

„Der Betriebsrat besteht in Betrieben mit in der Regel

5-20 Wahlberechtigten Arbeitnehmern aus einer Person,

21-50 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus drei Mitgliedern,

51 wahlberechtigten Arbeitnehmern bis 100 Arbeitnehmern aus fünf Mitgliedern,

101 bis 200 Arbeitnehmern aus sieben Mitgliedern, (…)“

Das BAG hat die von ihm aufgestellten Grundsätze im vorliegenden Fall dergestalt angewendet, dass es um zwei Stufen zurückgegangen ist (zu wählen waren sieben Mitglieder in dem Betriebsrat, zur Wahl hatten sich lediglich drei Kandidaten gestellt).

Bewertung

Die Entscheidung des BAG erscheint konsequent. Dies folgt aus den Vorschriften der § 13 BetrVG und §§ 21, 22 BetrVG. § 13 BetrVG regelt den Zeitpunkt der Betriebsratswahlen. Diese finden regelmäßig alle 4 Jahre in der Zeit vom 01.03. bis 31.05. statt (§ 13 Abs. 1 S. 1 BetrVG). § 13 Abs. 2 BetrVG regelt, wann außerhalb dieser Zeit ein Betriebsrat zu wählen ist. So legt § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG fest, dass eine außerordentliche Wahl dann zu erfolgen hat, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist. Danach ist die Gesamtzahl erst dann gesunken, wenn auch Ersatzmitglieder nicht nachrücken können. Rechtsfolge des Absinkens der Mitgliederzahl des Betriebsrates ist, dass nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG Neuwahlen anzusetzen sind. Wenn jedoch keine Neuwahlen durchgeführt werden, bleibt der Betriebsrat im Rahmen seiner Amtszeit nach § 21 BetrVG im Amt (vgl. LAG Düsseldorf, 15.04.2011 – 6 Sa 857/10). § 21 BetrVG regelt die Amtszeit des Betriebsrats. Diese beträgt regelmäßig 4 Jahre (§ 21 S. 1 BetrVG). Ist wegen des Absinkens der Mitgliederzahl des Betriebsrats unter die maßgebliche Größe nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG gewählt worden, endet die Amtszeit mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Unterbleibt die Neuwahl, so führt der bisherige Betriebsrat die Geschäfte nach § 22 BetrVG bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit nach § 21 BetrVG weiter. Nur wenn alle Mitglieder und Ersatzmitglieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden sind, endet die Amtszeit des Betriebsrates mit dem Amtsverlust des letzten gegebenenfalls nachgerückten Betriebsratsmitglieds. Dann fehlt es für eine vorläufige Weiterführung der Geschäfte an einer gesetzlichen Grundlage (BAG 12.01.2000 - 7 ABR 61/98).

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.04.2024 auch auf den in § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers hingewiesen, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Sachverhalt erfüllt.

Als Fazit kann daher festgehalten werden, dass in Fällen, in denen sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz bewerben als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden kann. Das Bundesarbeitsgericht stützt mit dieser Entscheidung die Errichtung von Betriebsräten und stärkt die betrieblichen Mitbestimmungsrechte der Belegschaft.