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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Annahmeverzugslohn - Rechtsprechung des BAG in der Praxis

Wir hatten in unserem Blog zuletzt mehrfach (vgl. u.a. die Blogbeiträge von Rechtsanwältin Katharina Meyer Renkes zu einem Angebot zur Weiterarbeit zu unveränderten Bedingungen und zu zumutbarer Tätigkeit und Auskunftsansprüchen) über den Streitpunkt Annahmeverzug bei Kündigungen berichtet. Heute möchten wir von einem interessanten Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart berichten, dass über die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinausgeht. Sollte die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Stuttgart in den nächsten Instanzen bestätigt werden, würde dies die „Spielregeln“ bei einem Abfindungspoker deutlich zugunsten von Arbeitgebern ändern können. Aus Stuttgart berichtet unser Kollege Herr Rechtsanwalt Michael Wald.

 

Doch worum geht es?

Bei Kündigungsschutzklagen stellt sich für Arbeitgeber häufig die Frage nach den Annahmeverzugslohnansprüchen von Arbeitnehmenden nach unwirksamer Kündigung. Stellt sich am Ende eines Kündigungsschutzverfahrens heraus, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht wirksam beendet wurde, muss der Arbeitgeber dem/der Arbeitnehmenden regelmäßig für die Dauer das Prozesses die gesamte Vergütung zahlen, die diese/r ohne Kündigung verdient hätte (sog. Annahmeverzugslohn, § 615 BGB).

Gerade bei Kündigungsschutzverfahren, die sich über ein oder zwei Jahre ziehen, stehen er­hebliche Nachzahlungen im Raum. Arbeitgeber müssen im Falle des Unterliegens Arbeitneh­mende dann aktiv zur Arbeit auffordern, um den Annahmeverzug beenden zu können.

Für Arbeitgeber stellt sich daher im Verlaufe eines Kündigungsschutzverfahrens häufig die Frage, wie sie dieses wirtschaftliche Risiko begrenzen können. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Mai 2020 (5 AZR – 387/19, NZA 2020, 1113) festgestellt, dass Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmenden einen Auskunftsanspruch über die Arbeitslosmel­dung sowie über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermitt­lungsvorschläge haben. Grundsätzlich können Arbeitgeber das Annahmeverzugslohnrisiko mindern, wenn sie darlegen und beweisen, dass Arbeitnehmende nach § 11 Nr. 1 KSchG im Zeitraum nach dem Zugang der Kündigung anderweitig Verdienst erzielt, einen solchen Ver­dienst böswillig unterlassen (§ 11 Nr. 2 KSchG) oder andere öffentliche Leistungen erhalten (§ 11 Nr. 3 KSchG) haben. Häufig kommt es dann zwischen den Parteien über die Anrechnung von böswillig unterlassenem Zwischenverdienst zu Streit. Arbeitnehmende unterlassen nach ständiger Rechtsprechung böswillig anderweitigen Verdienst, wenn er/sie vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit ablehnen oder vorsätzlich verhindern, dass ihnen Arbeit angebo­ten wird. Zwar muss die vorsätzliche Untätigkeit vorwerfbar sein, Böswilligkeit setzt aber nicht voraus, dass der/die Arbeitnehmende in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Es genügt das vorsätzliche außer Acht lassen einer dem Arbeitnehmenden bekannten Gele­genheit zur Erwerbsarbeit. Das BAG hat bereits in der Vergangenheit in Bezug auf den „bös­willig unterlassenen Zwischenverdienst“ nach § 11 Nr. 2 KSchG anerkannt, dass Arbeitgeber selten Anknüpfungstatsachen für etwaige Erwerbsmöglichkeit wissen beziehungsweise in Er­fahrung bringen können. Das BAG änderte durch die Entscheidung vom 27. Mai 2020 deswegen seine bisherige Rechtsprechung in zwei wesentlichen Punkten:

-          Arbeitnehmende sind während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers verpflichtet, dem Arbeitgeber Auskünfte über Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur bezie­hungsweise des Jobcenters zu erteilen und

-          Arbeitnehmende sind verpflichtet, sich arbeitslos zu melden (§ 2 SGB III) um nicht den Annahmeverzugslohnanspruch wegen Verstoßes gegen sozialrechtlicher Obliegenhei­ten zu verlieren.

Das BAG hat damit seine frühere Rechtsprechung, wonach es die sozialversicherungsrechtli­che Meldeobliegenheit für das grundsätzliche Bestehen die Höhe des Annahmeverzugslohn­anspruchs nicht ankam, ausdrücklich aufgegeben. Zuvor hatte bereits das Landesarbeitsge­richt Hessen in einer Entscheidung vom 11. Mai 2018 (10 Sa 1628/17, Beck RS 2018, 23971) eine Obliegenheit zur Arbeitslosmeldung im Annahmeverzugslohnprozess bejaht, dabei je­doch einen Auskunftsanspruch in Bezug auf Vermittlungsvorschläge verneint.

 

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung vom 23. Februar 2023 (25 Ca 956/22) die Arbeitgeberposition im Zusammenhang mit Annahmeverzugslohnan­sprüchen deutlich gestärkt. Gegenstand der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgarts war eine Klage eines Arbeitnehmenden, der nach Obsiegen in einem vorangegangenen Kündi­gungsschutzprozess Annahmeverzugslohn gegen den Arbeitgeber für die Dauer des Gerichts­verfahrens geltend gemachte hatte. Im Rahmen dieses Verfahrens forderte die Arbeitgeberin den Kläger auf, Auskunft von anderweitigen Einkünften und über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit zu geben. Dieser Aufforderung kam der Kläger bis zuletzt nicht nach. Die Arbeitgeberin stellte daher die Behauptung auf, dem Kläger sei es möglich gewesen, einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Klage auf Vergütung von Annahmeverzugslohn wies das Arbeitsgericht Stuttgart als unbe­gründet ab. In den Entscheidungsgründen führte das Arbeitsgericht aus, dass grundsätzlich die Voraussetzungen eines Annahmeverzugslohns ab dem Zeitpunkt des Zugangs der unwirksamen Kündigung vorgelegen hätten. Allerdings müsse sich der Arbeitnehmer in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb nach § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen, da er seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart stellte sich zunächst hinter die im Urteil vom 27. Mai 2020 durch das Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze, wo­nach Arbeitnehmende verpflichtet sind, dem Arbeitgeber über anrechenbaren Verdienst und die von der Bundesagentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge Auskunft zu erteilen. In den weiteren Entscheidungsgründen argumentierte das Arbeitsgericht Stuttgart prozessual und führte aus, dass die beklagte Arbeitgeberin ihrer primären Darlegungslast ausreichend nachgekommen sei, indem sie eine anderweitige Verdienstmöglichkeit des Klägers behauptet und diesen zur Auskunftserteilung aufgefordert habe. Nun hätte es an dem Kläger gelegen, im Rahmen seiner sekundären Darlegungspflicht zu diesen Umständen vorzutragen. Dies habe der Kläger jedoch nicht getan. Das Arbeitsgericht Stuttgart ist dann über die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG hinausge­gangen und hat die Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmenden nicht nur als zur Zeit unbegründet (so BAG in der Entscheidung vom Mai 2020), sondern als insgesamt unbe­gründet abzuweisen sei. Der geltend gemachte Annahmeverzugslohn sei aufgrund der fehlen­den Auskunft für die Arbeitgeberin nicht berechenbar. Daher würden nach Auffassung des Arbeitsgerichts Stuttgarts die üblichen Grundsätze zur abgestuften Darlegungslast gelten. Da der Kläger die geforderte Auskunft über anderweitigen Erwerb nicht erteilt habe, gelte das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 138 ZPO als zugestanden. Die Behauptung des Arbeitgebers, es sei dem Kläger möglich gewesen einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen, werde als wahr unterstellt und der behauptete hypothetische Erwerb daher in voller Höhe auf den Annahmeverzugslohn angerechnet.

 

Bewertung für die Praxis

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit seiner Entscheidung die Grundsätze des BAG aufgenom­men, umgesetzt und im Ergebnis konsequent weitergeführt.

Da das Arbeitsgericht Stuttgart die Berufung zugelassen hat, muss abgewartet werden, ob diese Entscheidung in den höheren Instanzen bestätigt wird. Sollte dies der Fall sein, würde der Anspruch von Arbeitnehmenden auf Annahmeverzugslohn zukünftig nicht mehr uneinge­schränkt bestehen. Arbeitnehmende müssten sich während der Dauer eines Kündigungs­schutzprozesses um eine anderweitige Tätigkeit aktiv bemühen. Sie könnten nach einer Kün­digung nicht mehr einfach „die Hände in den Schoß“ legen. Im Streitfall über Annahmever­zugsansprüche würde sie im anschließenden Verfahren darüber die prozessuale Pflicht tref­fen, auf Verlangen des Arbeitgebers zu anrechenbaren Einkünften und nicht böswillig unter­lassenem Zwischenverdienst vorzutragen.

Sollte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart rechtskräftig bestätigt werden, würde dies auch Auswirkungen auf einen möglichen „Verhandlungspoker“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden in der Zukunft haben und ggf. zugunsten von Arbeitgebern verschieben.

 

Michael Wald, Fachanwalt für Arbeitsrecht