Länger arbeiten ohne Lohnausgleich
Impulse
Donnerstag, 1. Juli 2004
von Carsten Prudent mit RA Dr. Oliver Fröhlich
Der Trend zurück in Richtung 40-Stunden-Woche ist nicht mehr aufzuhalten. impulse zeigt, wie Mittelständler mehr Flexibilität erreichen fürs gleiche Geld.
Denn der Job auf dem Spiel steht, ist der Mensch zu manchem Zugeständnis bereit. Beispielsweise würden rund 70 Prozent aller Arbeitnehmer freiwillig eine Stunde ohne Lohnausgleich zulegen, so eine Umfrage der Online-Jobbörse Monster. Fast jeder Fünfte würde sogar noch weiter gehen. "Die Bevölkerung ist sich der Brisanz der wirtschaftlichen Lage größtenteils bewusst und sehr wohl bereit, die Ärmel hochzukrempeln ", kommentiert Kai Deininger, Geschäftsführer der Monster Deutschland GmbH, die unverhoffte Opferbereitschaft.
Das Arbeitgeberlager registriert derlei Töne aufmerksam und macht bereits mobil in Sachen Arbeitszeitverlängerung.
Fast die gesamte Autoindustrie prüft derzeit die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Um die Personalkosten kräftig zu senken, kalkulieren andere Dax-Größen wie Siemens, MAN oder Continental sogar ohne jeden Lohnausgleich. Argument: Es geht um die Sicherung vieler tausend Arbeitsplätze in Deutschland, insbesondere mit Blick auf die neuen EU-Partner in Osteuropa.
Auch mittelständische Firmenchefs setzen die Arbeitszeit wieder auf die Agenda. Gewerkschaften und Betriebsräte heulen pflichtgemäß auf, können den allgemeinen Trend zurück in Richtung 40- Stunden-Woche aber kaum aufhalten.
Dabei bevorzugten die meisten Firmenchefs vor kurzem noch eher den umgekehrten Weg. Nach dramatischen Umsatzeinbrüchen retteten Firmen wie Landmaschinenhersteller Lemken viele Jobs, indem sie die Belegschaft weniger arbeiten ließen und weniger zahlten. Gelegentlich mit Hilfe tariflicher Öffnungsklauseln, oft mit zähneknirschender Duldung der Gewerkschaft, aber fast immer mit dem Segen des Betriebsrats.
Rechtsrat: So verlängern Sie richtig
Wer Tarifverträge aushebeln möchte, wagt sich auf juristisch glattes Parkett. Dazu die Strategietipps von Arbeitsrechts-Fachanwalt Oliver Fröhlich aus Köln.
FALL 1: Firma tarifgebundenJuristisch führt an den Tarifkonditionen - außer durch Firmentarifvertrag - kein Weg vorbei (Achtung: bei Austritt geltende Tarife wirken nach, bis sie durch neue abgelöst sind). Das Gleiche gilt, wenn der Tarif für "allgemeinverbindlich" erklärt ist. Verlängerung der Arbeitszeit per Vertrag (mit und ohne Lohnausgleich) ist zwar faktisch möglich. Doch kann der Arbeitnehmer jederzeit die regulären Tarifkonditionen einklagen (Günstigkeitsprinzip). Davor schützt laut Bundesarbeitsgericht auch keine im Gegenzug gegebene Jobgarantie. Achtung: Haben Chef und Betriebsrat ein untertarifliches Modell ausgehandelt, kann dagegen sogar die Gewerkschaft klagen.
FALL 2: Firma nicht tarifgebunden
Der Arbeitgeber kann mit seinen Leuten in den einzelnen Arbeitsverträgen untertarifliche Löhne und/oder längere Arbeitszeiten vereinbaren. Bei Neueinstellung oder als nachträgliche einvernehmliche Änderung. Derlei Absprachen dürfen allerdings nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Möglich ist aber dieses Modell: Arbeitgeber und Betriebsrat verständigen sich auf einen Mustervertrag, den dann die Mitarbeiter einzeln unterschreiben. Einseitige Änderungskündigungen zum Zweck faktischer Lohnsenkung sind in aller Regel unwirksam.
FALL 3: Tariflohn per Arbeitsvertrag
Sind die Tarifbedingungen per Arbeitsvertrag garantiert, ist zu differenzieren. Erste Variante: Der Arbeitgeber wäre ansonsten nicht tarifgebunden. Dann muss er diese Verträge einhalten oder Änderungen aushandeln (siehe Fall 2). Neue Mitarbeiter kann er aber zu ungünstigeren Konditionen einstellen. Zweite Variante: Der Arbeitgeber ist ohnedies tarifgebunden und der Hinweis im Arbeitsvertrag soll nur sicherstellen, dass die Mitglieder und Nichtmitglieder der Gewerkschaft gleich bezahlt werden. In dem Fall wird der arbeitsvertragliche Verweis bei Austritt gegenstandslos (auch hier Nachwirkung beachten!).
FALL 4: Firma zahlt über Tarif
Theoretisch lassen sich übertarifliche Gehaltsteile, Weihnachtsgelder oder erfolgsabhängige Boni so abschmelzen, dass man sie mit den zusätzlich geleisteten Stunden verrechnet. Voraussetzungen sind aber auch hier einvernehmliche Änderungen der Arbeitsverträge. Änderungskündigungen wären meist aussichtslos (siehe Fall 2). Aber: Was der Chef bislang unter dem Hinweis "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" zahlt, kann er einseitig streichen (Mitbestimmung des Betriebsrats beachten!").
FALL 5: Manager soll verzichten
Gilt ein Mitarbeiter kraft seiner Funktion und/oder Höhe seines Gehalts als außertariflicher (AT-)Angestellter, kann der Chef versuchen, ihn herunterzuhandeln (siehe Fälle 3 und 4). In der Praxis wird dies jedoch nur dann relevant, wenn auch die Führungskräfte Mehrarbeit bezahlt bekommen. Oder diese Stunden auf langfristigen Arbeitszeitkonten landen.