Europa-Richter stärken Arbeitnehmern den Rücken
Berliner Morgenpost
Sonntag, 15. Mai 2005
von RA Heiko Peter Krenz
von Heiko Peter Krenz
EuGH-Entscheidung zu Massenentlassungen: Betriebsrat und Arbeitsagentur müssen vor der Kündigung informiert werden
Von Massenentlassungen betroffene Arbeitnehmer haben unerwartete Unterstützung aus Luxemburg bekommen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt einer deutschen Praxis eine Absage erteilt: Bislang konnten Arbeitgeber bei Massenentlassungen in größeren Betrieben ihrer Pflicht, den Betriebsrat über Kündigungen zu informieren und der Arbeitsagentur die Massenentlassungen anzuzeigen, auch noch nach Ausspruch der Kündigung nachkommen. Das Arbeitsgericht Berlin zweifelte jedoch, dass das dann überhaupt noch sinnvoll ist. Schließlich stehe die Entscheidung des Arbeitgebers bereits fest, und die Kündigungen seien ausgesprochen. Die Klage einer Pflegehelferin gegen die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der zusammen mit der gesamten Belegschaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt worden war, legten die Berliner Richter daher dem EuGH zur Klärung vor.
Der Insolvenzverwalter der AWO hatte die Massenentlassungen entsprechend der bisherigen Rechtslage erst einige Wochen nach der Kündigung bei der Arbeitsagentur angezeigt. Die Luxemburger Richter erklärten jedoch, dass die Kündigung in diesen Fällen nicht ausgesprochen werden darf (Az.: C-188/03 vom 27. Januar 2005). Sowohl der Betriebsrat als auch die Arbeitsagentur müssen vorher beteiligt werden, weil sie nur dann Einfluss auf die Entscheidung nehmen können.
Als Konsequenz stellt sich die Frage, ob damit alle Kündigungen unwirksam sind, die bei Massenentlassungen ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrates und der Arbeitsagentur ausgesprochen worden sind. Da die Europa-Richter keine Übergangsregelungen vorgesehen haben, spricht vieles dafür. Gekündigte haben daher in Kündigungsschutzprozessen gute Karten.
Für Verwirrung sorgt allerdings eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Krefeld, das die EuGH-Entscheidung nicht anerkennt. Es hält daran fest, dass die Beteiligung weiter auch noch nach der Kündigung zulässig ist. Voraussetzungen für eine Änderung der Rechtslage solle eine Klärung der umstrittenen Rechtsfrage durch den deutschen Gesetzgeber sein, die bislang aber noch aussteht (1 Ca 3731/04). Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass die Krefelder Position gegenüber der EuGH-Entscheidung Bestand hat.