„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit?“ – Abgleich der Equal Pay Entscheidung des BAG mit der Praxis
Die mit Spannung erwartete Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu seinem Urteil zur Entgeltgleichheit von Männern und Frauen vom 16. Februar 2023 ist inzwischen veröffentlicht (BAG vom 16. Februar 2023, Az. 8 AZR 450/21).
Das BAG hat mit seinem Urteil vom 16. Februar 2023 entschieden, dass eine Frau einen Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihr männlicher Kollege hat, wenn beide gleiche oder gleichwertige Tätigkeit verrichten. Der Arbeitgeber kann unterschiedliche Bezahlung nicht damit rechtfertigen, der Mann habe „besser verhandelt“.
Das Urteil des BAG hat für Diskussionen gesorgt im Hinblick auf die Auswirkung auf die betriebliche Praxis der Entgeltgestaltung. Das Urteil des BAG wird als wegweisendes Urteil zum Equal-pay-Grundsatz diskutiert. Was bedeutet “gleich” in diesem Zusammenhang? Wie verträgt sich die Rechtsprechung mit der Praxis? Antworten hierzu liefert Frau Rechtsanwältin Meyer-Renkes.
I. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit
Das Entgelt ist für die Parteien eines Arbeitsverhältnisses ein äußerst sensibles Thema. Für Arbeitnehmer ist ein hohes Entgelt nicht nur zur Sicherung des Lebensunterhalts wesentlich, sondern auch Ausdruck der persönlichen Leistungsfähigkeit und -entwicklung. Aus Arbeitgebersicht stellt das Entgelt vor allem ein Mittel zur Mitarbeitergewinnung, aber auch zur Mitarbeiterbindung dar.
In den letzten Jahre hat sich das Bewusstsein für den immer noch sehr deutlich existierenden „Gender-Pay-Gap“ weiter verstärkt.
In europarechtlichen Vorschriften, so Art. 157 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) ist das Gebot der Entgeltgleichheit für gleiche oder gleichwertige Arbeit für Männer und Frauen bereits seit vielen Jahren verankert und gilt damit in Deutschland als unmittelbares Gesetz, das zwingend zu beachten ist. In deutschen Gesetzen hat es neben dem in § 3 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) verankerten allgemeinen Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts sowie dem grundgesetzlich geschützten Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Abs. 2 GG (Grundgesetz) seinen besonderen Niederschlag in den §§ 3, 7 EntgTranspG (Entgelttransparenzgesetz) gefunden. Zudem gibt das Entgelttransparenzgesetz Angestellten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern einen individuellen Auskunftsanspruch zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots. Der Auskunftsanspruch nach den §§ 10 und 11 EntgTransG ist allerdings bis vor einiger Zeit kein schlagkräftiges Instrument zur Durchsetzung von Entgeltgleichheitsansprüchen gewesen. Grund dafür ist, dass allein das Entgeltmedian, auf dessen Mitteilung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ein Anspruch besteht, wenig aussagekräftig und ungeeignet für einen Nachweis von Diskriminierung ist. Mit der Entscheidung des BAG vom 21. Januar 2021 hat dies eine Änderung erfahren. Gestützt auf den unionsrechtlichen Hintergrund des Entgelttransparenzgesetzes geht das BAG davon aus, dass bereits die Mitteilung eines höheren Entgelts der Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne des § 22 AGG darstellen kann. Damit reicht der Verweis auf die Auskunftserteilung für den Nachweis der Benachteiligung im Sinne des § 22 AGG aus. Besteht somit die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei, hier der Arbeitgeber, die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt die Beweislast des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben, d. h. der Arbeitgeber hat vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer, also auf geschlechtsunabhängigem Unterschied beruht. Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet ist und zu den legitimen Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen.
Mit seiner jüngsten Entscheidung vom 16. Februar 2023 hat das BAG unter anderem im Hinblick auf die vom Arbeitgeber zu widerlegende Vermutung und die zulässigen Differenzierungskriterien neue Erkenntnisse geliefert.
II. Sachverhalt
Die Klägerin wurde zum 01. März 2017 zu einem monatlichen Gehalt in Höhe von Euro 3.500,00 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb bei der Beklagten eingestellt. Ihr nur zwei Monate früher ebenfalls als Außendienstmitarbeiter eingestellter männlicher Kollege erhielt hingegen 4.500,00 Euro. Später richtete sich die Vergütung im Unternehmen der Beklagten nach einem Haustarifvertrag, wonach ein Grundgehalt zuzüglich einer leistungsabhängigen Vergütung vorgesehen war. Mit dem männlichen Kollegen vereinbarte die Beklagte eine Erhöhung des Grundgehalts, sodass sein Gehalt in Anwendung des Haustarifvertrags im Ergebnis um 500,00 Euro höher ausfiel als das der Klägerin. Dies begründete die Beklagte unter anderem damit, dass der männliche Kollege die Nachfolge einer besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin angetreten habe. Die Klägerin begehrte zum einen die Zahlung der Differenz zur Vergütung des männlichen Kollegen. Ihrer Auffassung zufolge sei die Beklagte verpflichtet, ihr für die gleiche Arbeit ein ebenso hohes Gehalt zu zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Zudem forderte die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000,00 Euro gemäß § 15 Abs. 2 AGG.
III. Die Entscheidung des BAG
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Mit ihrer Revision vor dem BAG hatte die Klägerin jedoch ganz überwiegend Erfolg. Das BAG entschied, dass die Beklagte die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt hat. Die Klägerin habe die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichtet, jedoch hierfür von der Beklagten ein niedrigeres Grundgehalt als dieser erhalten. Das BAG bejahte daher den Anspruch der Klägerin gemäß Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 2, 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt, das ihr männlicher Kollege in dieser Zeit erhalten hatte.
Die Vermutung des § 22 AGG, dass die Klägerin gerade aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurde, sah das Gericht schon in dem Umstand begründet, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege.
Der Beklagten war es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Sie trug (nur) vor, dass der männliche Kollege besser verhandelt habe. Das BAG urteilte jedoch, dass die Beklagte sich auf dieses Argument nicht zur Widerlegung der Vermutung aus § 22 AGG berufen kann. Ebenso wenig ließ das BAG die Argumentation der Beklagten gelten, sie habe noch bei Einführung des Haustarifvertrags den männlichen Kollegen weiterhin besser bezahlt, weil dieser einer besser vergüteten, ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt sei.
Das BAG führte zur Erläuterung hierzu aus:
Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mit ursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts nicht effektiv umgesetzt werden.
Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass die Beklagte dem Bewerber ursprünglich dieselbe niedrigere Grundvergütung angeboten hat wie später der Klägerin und dass die Initiative für die Vereinbarung eines höheren Grundgehalts von dem Bewerber ausging, weil dieser eine um 1.000,00 Euro höhere Grundvergütung forderte. Allein der Umstand, dass die Beklagte der Forderung des Bewerbers nach einem höheren Grundentgelt nachgegeben hat, ist für sich allein betrachtet ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen.
Mit der pauschalen Begründung der Beklagten, die höhere Grundvergütung sei im Interesse der Mitarbeitergewinnung erforderlich gewesen, konnte die Beklagte die Vermutung des § 22 AGG ebenfalls nicht widerlegen. Das BAG führt hierzu aus, dass im Einzelfall die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung widerlegt sein kann, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzten. Veranlasst die Lage auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitgeber, das Entgelt für eine bestimmte Tätigkeit zu erhöhen, um Bewerbern einen Anreiz zu bieten, kann dies geeignet sein, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. Derartige Gründe hatte die Beklagte in dem streitigen Fall jedoch nicht vorgetragen. Hierfür hätte sie u.a. darlegen müssen, dass aufgrund der Lage auf dem Arbeitsmarkt Personalgewinnungsschwierigkeiten gerade für die Stelle bestanden hätten, auf die sich der Mitarbeiter beworben hatte. Es fehlte auch an einem Vortrag dazu, dass es keine ebenso gut geeigneten Bewerber gegeben hatte.
Eine bessere Qualifikation eines Bewerbers oder einer Bewerberin kann nach den weiteren Ausführungen des BAG im Einzelfall zur Widerlegung der Vermutung geeignet sein. Dies gilt nicht nur für eine bessere Qualifikation wegen einer fachspezifischen Ausbildung, sondern auch im Hinblick auf eine einschlägige Berufserfahrung.
Die von der Klägerin geltend gemachte Entschädigung wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts gemäß § 15 Abs. 2 AGG erkannte das BAG ebenfalls dem Grunde nach an, jedoch sprach das Gericht der Klägerin statt der begehrten Euro 6.000,00 im Ergebnis nur Euro 2.000,00 zu, da dies nach Auffassung des BAG auf der einen Seite eine ausreichende Entschädigung für den durch die unzulässige Entgeltdiskriminierung erlittenen immateriellen Schaden darstelle und auf der anderen Seite ausreichend sei, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.
IV. Folgen für die Praxis
Besseres Verhandeln ist allein für sich betrachtet kein zulässiges Differenzierungskriterium.
Arbeitgeber werden zukünftig bei der Bemessung des Gehaltes unter höherem Rechtfertigungsdruck stehen.
Arbeitgeber müssen, wenn sie unterschiedliche Geschlechter bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit unterschiedlich entlohnen möchten, objektive geschlechtsneutrale Kriterien darlegen, die die festgestellte unterschiedliche Vergütung erklären können.
Mit tariflichen oder betrieblichen Vergütungssystemen mit Gehaltsbändern und objektiver Gradingsystematik lassen sich unbewusste geschlechtsspezifische Differenzierungen vermeiden.
Objektive und einheitliche Vergütungsordnungen erleichtern zudem eine rechtskonforme Gehaltsverhandlung sowohl bei der Einstellung als auch im laufenden Arbeitsverhältnis. Diese sollten die Vergütung anhand konkreter und objektiver Kriterien wie z.B. Qualifikation, Dienstalter und Berufserfahrung festlegen. Auf diese Weise ist die Vergütung nicht nur rechtskonform, sondern auch für die Parteien transparent und nachvollziehbar. Dadurch reduziert sich das Risiko, später für die Lohnfindung angegriffen werden zu können.
Zudem ist es angesichts des Urteils des BAG ratsam, den Einstellungs- und Gehaltsfindungsprozess sorgfältig zu dokumentieren. Dies gilt umso mehr, wenn ein anderes Entgelt vereinbart werden soll, als es Arbeitnehmern anderen Geschlechts für gleiche oder vergleichbare Arbeit erhalten. Hierbei sollten Arbeitgeber insbesondere die objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien dokumentieren, die zur abweichenden Vergütung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern geführt hat.