Die 10 wichtigsten BAG-Urteile aus dem Jahr 2024
Der bevorstehende Jahreswechsel gibt Anlass für einen Rückblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dessen 10 wichtigste Urteile im Jahr 2024 waren nach Auswahl von Dr. Martin Pröpper die nachfolgenden Entscheidungen. Sie sind in zeitlicher Reihenfolge dargestellt, mit Benennung der Top 3:
Einschränkung des Konzernprivilegs bei Leiharbeit - BAG vom 12.11.2024 (9 AZR 13/24)
Das BAG greift das Konzernprivileg der Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit) mit seinem Urteil vom 12.11.2024 an: Überlässt ein Unternehmen, das einem Konzern angehört, einen Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre einem anderen Konzernunternehmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Beschäftigung des Arbeitnehmers zum Zweck der Überlassung erfolgt ist. In diesem Fall kann sich das entleihende Unternehmen nicht auf das Konzernprivileg (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG) berufen. Hierzu wird das „und“ im Gesetzestext („zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt“) in ein „oder“ umgemünzt.
AT-Vergütungsabstand zur höchsten Tarifgruppe - BAG vom 23.10.2024 (5 AZR 82/24)
Das streitträchtige Thema des Vergütungsabstandes der außertariflich Beschäftigten zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe hat durch das Urteil vom 23.10.2024 eine gewisse Aufklärung im Jahr 2024 erlangt. Weiterhin gilt: Ein AT-Angestellter hat mehr zu verdienen, als die Belegschaft in der höchsten Tarifgruppe. Nun gilt aber auch: Fehlt jede weitere Bestimmung zum finanziellen Abstand, reicht ein minimaler Abstand. Im Streitfall waren es nur lediglich 1,35 € brutto / Monat, was dem Gericht ausreichte. Denn tariflich war kein bestimmter prozentualer Abstand oder Betrag festgesetzt. Es genügt für den außertariflichen Angestellten dann jedes Überschreiten der höchsten tariflichen Entgeltgruppe.
Zuschläge wegen Feiertag und Arbeitsort – BAG vom 1.8.2024 (6 AZR 38/24)
Die Parteien stritten über Zuschläge aufgrund unterschiedlicher Feiertagsregelungen in zwei Bundesländern. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der konkrete Arbeitsplatz (Hessen) oder der regelmäßige Arbeitsort des Klägers (NRW) maßgeblich ist. Für den regelmäßigen Arbeitsort hat sich das BAG in Korrektur der Vorinstanzen ausgesprochen. Der regelmäßige Arbeitsort des Klägers befindet sich in NRW. Der Kläger nahm auf arbeitgeberseitige Weisung an einem Lehrgang in Hessen teil, damit auch an Allerheiligen (1.11.2021), dies auf Basis eines Dienstreiseantrages. Allerheiligen ist in NRW ein gesetzlicher Feiertag, in Hessen nicht. Das BAG sprach dem Kläger die Feiertagszuschläge zu: Denn für den Zuschlagsanspruch sei der regelmäßige Arbeitsort maßgeblich. Dieser liegt in NRW, was daher maßgebend für den Anspruch auf die Feiertagszuschläge ist.
Zielvereinbarung, Zielvorgabe und Schadenersatz - BAG vom 3.7.2024 (10 AZR 171/24)
Angesichts der strittigen Beträge ist die mangelhafte Dokumentation von Zielvereinbarungen und Zielvorgaben oft erstaunlich: Mit dem Urteil aus 2024 gilt, welches Platz 2 in meinem Relevanzranking für 2024 bekommt: Sind Bonusziele (Prämienziele, Tantiemeziele) zu vereinbaren, erfüllt der Arbeitgeber seine Pflicht in der Regel nur, wenn er Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung mit dem Arbeitnehmer führt und es ihm ermöglicht, auf die Zielfestlegung hierbei Einfluss zu nehmen. Das BAG bestätigt mit seinem Urteil bei Missachtung einen Schadenersatzanspruch (§ 280 i.V.m. 283 Satz 1, 252 BGB). Eine dann einseitig durch den Arbeitgeber angeordnete Vorgabe von Zielen ist nicht rechtens, denn eine solche Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB). Ein Mitverschulden am vorherigen Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung kann mit 10 % bewertet werden.
Schadenersatz wegen personenbezogener Daten - BAG vom 20.6.2024 (8 AZR/23)
Ein Schadenersatzanspruch setzt immer noch einen Schaden voraus, wie das BAG zugunsten des Arbeitgebers bestätigt. Es hat deutlich gemacht, dass die (bloße) arbeitnehmerseitige Befürchtung vor dessen Datenmissbrauch keinen Anspruch auf immateriellen Schadenersatz (Schmerzensgeld) nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO begründen kann. Der Schaden müsse zwar keinen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreichen. Ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung führt aber trotzdem nicht zu einem Entschädigungsanspruch. Es muss zumindest irgendein Schaden belegt sein.
Kündigung durch Einwurf-Einschreiben - BAG vom 20.6.2024 (2 AZR 213/23)
Der Kündigungssenat des BAG hat mit seiner Entscheidung zum Zugang eines Kündigungsschreibens einen erleichternden Grundsatz aufgestellt: Es besteht ein Beweis des ersten Anscheins, dass Briefe durch die Deutsche Post zu den postüblichen Zeiten zugestellt werden. Wenn daher ein Einwurf-Kündigungsschreiben am 30.9.2021 in den Hausbriefkasten eingeworfen wird, muss der Kündigungsempfänger den damit an diesem Tage anscheinlich bewirkten Zugang entkräften. Behauptet der Kündigungsempfänger einen Zugang außerhalb der üblichen Zeiten, muss er es im Einzelnen darlegen. Die bloße Behauptung des Zuganges der Kündigung erst am Folgetag - worauf es hier ankam – genügt prozessual nicht.
Befristung zur Vertretung bei erkranktem Vertreter - BAG vom 16.6.2024 (7 AZR 188/23)
Im Rahmen einer Entfristungsklage war zu entscheiden, ob ein Arbeitsverhältnis aufgrund vereinbarter Sachgrundbefristung endete. Die Besonderheit bestand darin, dass der zur Vertretung der Stammkraft befristet eingestellte Vertreter arbeitsunfähig erkrankte und seinen Dienst daher tatsächlich nie antrat. In der Revision wurde die Befristung unter Korrektur der Vorinstanz als wirksam mit dem Sachgrund der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG) bestätigt. Der Befristung stehe nicht entgegen, dass der Kläger als vorgesehener Vertreter während der Gesamtdauer arbeitsunfähig erkrankt war und daher keine Vertretung ausüben konnte, auch nicht geltend mit dem Blickwinkel eines Missbrauchs (§ 242 BGB).
Betriebsteilübergang, Zuordnung und Widerspruch - BAG vom 21.3.2024 (2 AZR 79/2)
Das BAG hat sich im Rahmen eines Betriebsteilüberganges mit zwei bislang noch nicht gänzlich geklärten Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses (§ 613a BGB) befasst, was Platz 3 in meinem persönlichen Relevanzranking für das Urteil bedeutet: Einerseits befasst sich die Entscheidung mit der Zuordnung der Belegschaft zu dem zu übertragenden Betriebsteil, andererseits mit den Anforderungen an die Unterrichtungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB. Im Hinblick auf den ersten Komplex gilt: Eine Zuordnung (Versetzung) zum zu übertragenden Betriebsteil ist auch dann wirksam, wenn sie erst kurz vor dem Übergang des Arbeitsverhältnisses erfolgt ist. Eine Überprüfung anhand des Absatzes 4 („wegen“) findet nicht statt. Zum zweiten Komplex gilt: Nur Unterrichtungsfehler mit gewisser Bedeutung für einen nachträglichen Widerspruch können relevant sein, sonst ist die einmonatige Widerspruchsfrist wirksam in Gang gesetzt.
Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes - BAG vom 7.2.2024 (5 AZR 177/23)
Die Thematik zum böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes nach erfolgter Kündigung hält die Arbeitsgerichtsbarkeit weiter auf Trab. In dieser Konstellation wird einerseits die Sicht vertretenen, der gekündigte Arbeitnehmer genüge seinen Pflichten, solange er Vermittlungsangeboten der Arbeitsverwaltung nachkommt. Demgegenüber besteht die weitergreifende Meinung, man müsse sich darüber hinaus um einen neuen Arbeitsplatz bemühen. Klarheit ist nun ein stückweit geschaffen: Die bloße fristgerechte Meldung bei der Arbeitsverwaltung nach Kündigungszugang reicht jedenfalls nicht aus, um keinesfalls böswillig (§ 11 Nr. 2 KSchG) zu erscheinen. Man darf darüber hinaus auch nicht vorsätzlich verhindern, dass man eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten erhält.
Sozialplanabfindung und Stichtag - BAG vom 20.1.2024 (1 AZR 62/23)
Die Betriebsparteien vereinbarten einen Sozialplan, der „für sämtliche Mitarbeiter“ gelten sollte, die „am 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis standen“, betreffend eine Komplettschließung (Stilllegung). Ausgenommen waren befriste Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis danach begründet wurde, weil sich nämlich der Schließungsplan mehrfach verzögerte. Das Arbeitsverhältnis des neu eingetretenen Klägers endete wegen der Schließungsverzögerungen befristet erst am 30.11.2020. Er hat die Auffassung vertreten, sein Ausschluss als befristet beschäftigter Arbeitnehmer aus dem Sozialplan benachteilige ihn ohne sachlichen Grund (§ 4 Abs. 2 TzBfG). Das BAG bestätigte die Stichtagsklausel, die Entscheidung bekommt Platz 1 in meinem Relevanzranking: Die Betriebsparteien verfügen bei Sozialplänen über Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume. Die erfolgte personenbezogene Differenzierung ist sachlich gerechtfertigt. Sie ist am Zweck des Sozialplans ausgerichtet. Der Sozialplan dient dem Ausgleich oder der Milderung solcher wirtschaftlichen Nachteile, die infolge der geplanten Betriebsänderung (komplette Schließung) entstehen. Arbeitnehmer, die danach – aufgrund der verzögerten Umsetzung - eingetreten sind, haben solche Nachteile nicht. Denn diese Gruppe von Arbeitnehmern wurde zu einem Zeitpunkt eingestellt, zu dem bereits (auch für sie selbst) feststand, dass die Stilllegung erfolgen wird.