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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Nun liegen die Urteilsgründe vor: Das BAG und die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Einleitung

 Wie bereits in diesem Blog berichtet, hat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 13. September 2022 entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeit erfasst werden kann. Nunmehr liegen die mit Spannung erwarteten Urteilsgründe der Entscheidung vor. Der Partner unserer Kanzlei, Dr. Frank Dahlbender, fasst sie hier für Sie zusammen und erklärt, was für die Praxis wichtig ist.

 

Der Pressemitteilung war schon zu entnehmen, liest das BAG die gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten nicht etwa aus § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG heraus, sondern aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Diese Norm lautet auszugsweise wie folgt:

 

„§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1)   Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.

(2)   Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit und der Zahl der Beschäftigten

1.      für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie […]“

  

Umsetzungsfrist

 Nach der Entscheidung des BAG besteht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG schon längst. Unternehmen sind also nicht erst seit der Entscheidung vom 13. September 2022, sondern schon seit Jahren, seit der Geltung des § 3 Abs. 2 ArbSchG, verpflichtet, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst.

 

Dass dies bisher die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden nicht auf den Plan gerufen hat, liegt vermutlich daran, dass auch diese Behörden bis zum 13. September 2022 nichts davon wussten, was schon längst galt.

  

Und für wen gilt das?

 Nach den Urteilsgründen gilt die Zeiterfassungspflicht für alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG. Daher sind vermutlich ausgenommen: Leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG.

  

Praktische Vorgaben des BAG

 Nach den Entscheidungsgründen muss die Arbeitszeiterfassung nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen. Vielmehr sollen beispielsweise – je nach Tätigkeit und Unternehmen – auch Aufzeichnungen allein in Papierform genügen. Zudem sei es, auch wenn die Einrichtung und das Vorhalten eines solchen Systems dem Arbeitgeber obliege, nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung an die Arbeitnehmer zu delegieren. Die Wahl hat der Arbeitgeber.

 

Die Delegation der Zeiterfassung ist und bleibt durchaus zulässig. Allerdings wird sich der Arbeitgeber nicht ganz davon freisprechen können, hierauf regelmäßig ein Auge zu werfen und die Plausibilität zumindest stichprobenartig zu überprüfen.

 

Die sogenannte „Vertrauensarbeitszeit“ spricht das BAG selbst nicht an, da diese für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung war. Gänzlich ausgeschlossen ist sie wohl nicht; aber eine Vertrauensarbeitszeit ohne jede Form einer Arbeitszeiterfassung – wenigstens durch den Beschäftigten selbst – ist mit der Entscheidung nicht zu vereinbaren.

  

Sanktionen

 Anders als etwa das Arbeitszeitgesetz sieht das Arbeitsschutzgesetz für Verstöße gegen § 3 ArbSchG für sich betrachtet keine Sanktionen vor, d. h. kein Bußgeld. Das Risiko eines Bußgeldes ist erst dann zu sehen, wenn eine Arbeitsschutzbehörde eine vollziehbare Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG trifft und diese vom Unternehmen ignoriert wird. Weiterhin drohen Bußgelder, wenn gegen die Grenzen des ArbZG verstoßen wird und der Arbeitgeber dies nicht verhindert hat.

  

Mitbestimmung des Betriebsrats

 Eigentlicher Gegenstand des Rechtsstreits war ja die Fragestellung, ob ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines elektronischen Systems besteht, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werde. Dies hat das BAG abgelehnt, mit dem Argument, es bestünde insoweit kein Initiativrecht, da der Arbeitgeber ja schon von Gesetzeswegen verpflichtet sei, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Führe er jedoch ein solches ein, bestünde nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht im Rahmen der Ausgestaltung des „Wie“, wenn die Erlassung der Arbeitszeit auf einer elektronischen Anwendung basiere. Zudem weist das BAG auf die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hin, sprich das Mitbestimmungsrecht in Fragen des Gesundheitsschutzes. Bemerkenswert ist dabei der Hinweis des BAG, dass im Rahmen der Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes im Betrieb ein Initiativrecht des Betriebsrats bestünde und – könne hierüber keine Einigung erzielt werden – der Betriebsrat die Einigungsstelle hierzu anrufen könne.

  

Was macht der Gesetzgeber?

 Der Gesetzgeber ist nach der Entscheidung des BAG noch mehr aufgefordert, sich des Themas anzunehmen und sich im Rahmen der nach EU-Recht bestehenden Spielräume die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im Einzelnen – an welcher Stelle im Gesetz auch immer – zu regeln. Die Entscheidung des BAG gibt hierzu Hinweise und zeigt Spielräume auf. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber nunmehr diesen Auftrag annimmt und es nicht weiter der Rechtsprechung überlässt, Zweifelfragen zu klären.

 

Vorgehen in der Praxis:

Als Arbeitgeber mag man abwarten, was uU demnächst der Gesetzgeber regeln wird. Dann weiß man mehr, was man zu tun hat. Die bisherige Praxis hat die Überwachungsbehörden nicht auf den Plan gerufen und wird es vermutlich einstweilen weiterhin nicht. Betriebsräte können dagegen jetzt schon die Hinweise des BAG mit Blick auf § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aufnehmen und den Arbeitgeber zu einer Regelung des Gesundheitsschutzes auffordern, ggfls. über den Weg der Einigungsstelle. Ohnehin bleibt deren allgemeine Aufgabe bestehen, gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auf die Einhaltung der Gesetze zu wachen.

Dr. Frank Dahlbender, Rechtsanwalt

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