OPEL-Krise: Was Angestellte fürchten müssen
FOCUS- Online
Freitag, 29. Mai 2009
Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, muss die Belegschaft schnell reagieren. Die wichtigsten Informationen für den Ernstfall.
Von den FOCUS-Online-Autorinnen Nadine Nöhmaier und Melanie Rübartsch
Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, muss die Belegschaft schnell reagieren. Die wichtigsten Informationen für den Ernstfall. Der Pleitegeier kreist bedrohlich über deutschen Unternehmen: Mit insgesamt 33 000 bis 35 000 Insolvenzen rechnet die Neusser Wirtschaftsauskunftei Creditreform in diesem Jahr, zehn bis 15 Prozent mehr Unternehmen als 2008 würden somit zahlungsunfähig werden. Wo Instrumente wie Kurzarbeit versagen und staatliche Finanzspritzen ausbleiben, müssen Angestellte um ihre Jobs bangen. Doch bedeutet eine Insolvenz tatsächlich, dass die Belegschaft gehen muss Wie lange kann sie im Falle der Firmenauflösung mit ihrem Gehalt rechnen Und was ist eigentlich Insolvenzgeld FOCUS Online beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was bedeutet es, wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmeldet
Ist eine Firma zahlungsunfähig, muss sie einen Insolvenzantrag stellen. Daraufhin wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der teils auch zusammen mit der Unternehmensführung die Geschäfte weiter lenkt. Bis das Insolvenzverfahren eröffnet wird, versucht er, möglichst viel Gewinn, zum Beispiel aus Verkäufen, zu erwirtschaften. Ziel des Insolvenzverfahrens ist es, einerseits die profitablen Unternehmenssegmente und damit möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, andererseits die Forderungen der Gläubiger optimal zu erfüllen. Dies kann beispielsweise durch einen Insolvenzplan oder die Unternehmensübertragung an einen Investor geschehen. Klappt dies nicht, ist es das Ziel, das Unternehmen geordnet aufzulösen, sagt Florian Loserth, Fachanwalt für Insolvenzrecht aus Mühldorf am Inn.
Die Formulierung geordnete Insolvenz verwendet Wirtschaftsminister zu Guttenberg übrigens gerne, um zu suggerieren, dass eine Insolvenz keinesfalls chaotische Verhältnisse zur Folge hat; im Grunde ist das aber ein erfundener Begriff. Bei einer Zahlungsunfähigkeit gilt immer das Insolvenzrecht, jedes Verfahren dieser Art ist also geordnet, erklärt Loserth.
Welche Auswirkungen hat die Insolvenz auf ein Arbeitsverhältnis
Das Arbeitsverhältnis wird von der Eröffnung der Insolvenz nicht berührt. Der Angestellte muss ganz normal bei der Arbeit erscheinen. Allerdings übernimmt der Insolvenzverwalter die Rolle des Arbeitgebers, sagt Martin Pröpper von der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei Ulrich Weber & Partner in Köln. Das bedeutet: Der Insolvenzverwalter spricht mögliche Kündigungen aus, unterschreibt Aufhebungsverträge oder verfasst.
Gibt es weiter Gehalt, auch wenn die Firma pleite ist
Grundsätzlich besteht so lange Lohnanspruch, bis die Kündigung des Angestellten wirksam ist. Nur muss im Fall einer Pleite nicht der Arbeitgeber, sondern der Insolvenzverwalter das Gehalt ausbezahlen. Der Lohnanspruch erlischt selbst dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter den Angestellten von der Arbeit freistellt, erläutert Loserth. Doch Vorsicht: Dass der Angestellte Anspruch auf seinen Lohn hat, bedeutet nicht, dass er diesen tatsächlich bekommt. Er reiht sich mit seiner Forderung lediglich in die Reihe der anderen Gläubiger des Unternehmens ein, häufig bleibt das Geld aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers auf der Strecke. Der Lohn ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss übrigens als sogenannte Masseverbindlichkeit bevorzugt beglichen werden beispielsweise vor Bankenforderungen.
Was ist Insolvenzgeld
Weil das insolvente Unternehmen seine Belegschaft oft nicht mehr bezahlen kann, springt für die letzten drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Arbeitsagentur ein. Sie zahlt den Angestellten Insolvenzgeld in Höhe des Nettogehalts. Allerdings gibt es hierfür Obergrenzen, die sich am Bruttogehalt orientieren, diese liegen bei 5400 Euro in Westdeutschland und bei 4550 Euro im Osten. Darüber hinausgehende Einkommen werden bei der Berechnung nicht berücksichtigt. Auch wer in der Vergangenheit viele Schichtzulagen bekommen hat, diese Schichten aber wegen der Insolvenz nicht mehr ausführen kann, könnte einen Nachteil haben. Das übernimmt die Arbeitsagentur nicht, sagt Insolvenzexperte Loserth.
Übrigens sollten Mitarbeiter angesichts einer drohenden Insolvenz nicht in Lohnkürzungen einwilligen: Je niedriger das letzte Monatsnetto, desto geringer wird das Insolvenzgeld, so Pröpper. Der Arbeitnehmer muss seinen Antrag auf Insolvenzgeld innerhalb von zwei Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der örtlichen Arbeitsagentur stellen.
Dürfen Angestellte die Arbeit verweigern
Wenn der Arbeitgeber mit seinen Lohnzahlungen erheblich im Rückstand ist, haben Arbeitnehmer ein sogenanntes Leistungsverweigerungsrecht. Das ist in der Regel ab drei nicht gezahlten Gehältern in Folge der Fall, erläutert Arbeitsrechtler Pröpper. Loserth rät, die Arbeit jedoch nicht im Zeitraum, in dem Insolvenzgeld bezahlt wird, zu kündigen, ansonsten verliert man den Anspruch auf die Zahlung.
Bis wann müssen Ansprüche an die Insolvenzmasse angemeldet sein
Die maßgebliche Frist steht im Insolvenzeröffnungsbeschluss. In der Regel schickt der Verwalter diesen Beschluss allen Gläubigern zu und hängt ihn am Schwarzen Brett aus, erklärt Anwalt Pröpper. Beim Insolvenzverwalter erhalten die Mitarbeiter auch spezielle Vordrucke und Formulare für die Auflistung ihrer Ansprüche.
Darf der Chef wegen der Insolvenzanmeldung kündigen
Die Eröffnung der Insolvenz allein rechtfertigt keine Kündigung. Häufig müssen allerdings betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, die auch während des Insolvenzverfahrens nur wirksam sind, wenn die Sozialauswahl berücksichtigt und der Betriebsrat beteiligt wurde. Allerdings werden die Rechte der Arbeitnehmer während des Insolvenzverfahrens etwas beschnitten, sagt Fachanwalt Loserth. Der Insolvenzverwalter hat Sonderrechte. Beispielsweise kann er, sofern er Gründe dafür hat, mit einer Frist von höchstens drei Monaten kündigen. Arbeitnehmer, die vor der Insolvenz ein halbes Jahr Kündigungsschutz hatten, haben das Nachsehen. Andere Kündigungsvorschriften bleiben von der Pleite hingegen unberührt: Schwangere oder Mitarbeiter in Elternzeit beispielsweise genießen einen besonderen Kündigungsschutz, solange das Unternehmen existiert, erklärt Anwalt Pröpper.
Wann müssen sich Betroffene arbeitslos melden
Spätestens an dem Tag, an dem die Kündigung auf dem Tisch liegt, sollten sich Angestellte arbeitslos melden. Es macht aber Sinn, sich bereits mit Insolvenzanmeldung bei der örtlichen Arbeitsagentur zu melden, empfiehlt Anwalt Pröpper. Die Sachbearbeiter können die Mitarbeiter in Sachen Insolvenzgeld beraten und frühzeitig bei der Suche nach einem neuen Job helfen.
Was bedeutet es für die Mitarbeiter, wenn sich während des Insolvenzverfahrens ein Käufer für das Unternehmen findet
Wenn das Unternehmen ganz oder teilweise übernommen wird, muss der Käufer die Belegschaft weiter beschäftigen zu den bisherigen Konditionen. Vorsicht: Angestellte sollten darauf achten, dass die Betriebszugehörigkeit durch den Wechsel nicht auf null gesetzt wird. Will der neue Arbeitgeber betriebsbedingt kündigen, bringen dann auch die Jahre im alten Unternehmen bei der Sozialauswahl Pluspunkte für die Arbeitnehmer, erklärt Pröpper. Die alten Konditionen kann der neue Chef in der Regel nur im Zuge von Änderungskündigungen kippen. Diese muss er aber im Zweifel mit betrieblichen Erfordernissen begründen können.