Betriebsstillegung in Etappen – Wie ist die Sozialauswahl durchzuführen?
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 09.01.2024 - 3 Sa 529/23) hat zum Jahresanfang eine interessante Entscheidung im Zusammenhang mit einer etappenweisen Betriebsstillegung getroffen. Es ging im Kern um die Frage, was in solchen Fällen bei der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zu beachten ist.
Herr Rechtsanwalt Dominik Kranz erläutert die wesentlichen Aspekte der aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.01.2024:
Der Kläger war sei dem Jahr 2012 bei einem Aluminiumhersteller mit knapp 600 Angestellten beschäftigt. Nachdem über das Vermögen des Arbeitgebers am 01.03.2022 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, sind zum 31.12.2022 jegliche operativen Geschäftstätigkeiten eingestellt worden. Lediglich Abwicklungsarbeiten waren über den 31.12.2022 hinaus durchzuführen.
Im Dezember 2022 sprach der insolvente Arbeitgeber gegenüber alle Beschäftigten – und damit auch gegenüber dem Kläger – betriebsbedingte Kündigungen aus, sofern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bereits aus anderen Gründen (Auslaufen eines befristeten Arbeitsverhältnisses, Beendigung durch Aufhebungsvertrag oder Ausspruch einer Eigenkündigung durch die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer) eingetreten ist. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ist zum 31.03.2023 gekündigt worden.
Alle Beschäftigten sind ab dem 01.01.2023 unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt worden. Ausgenommen waren lediglich 53 Beschäftigte eines sog. Abwicklungsteams, in dem der Kläger kein Mitglied war. Bei dreizehn Personen des Abwicklungsteams sind Kündigungen zum 31.03.2023 und bei den übrigen vierzig zum 30.06.2023 ausgesprochen worden. Das Abwicklungsteam sollte bestimmte Abwicklungsarbeiten über den 31.12.2022 hinaus durchführen, wozu die Beklagte im Kündigungsschutzprozess jedoch nicht näher ausführte.
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Die Berufung des Arbeitgebers hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf begründete seine Entscheidung wie folgt:
Zwar könne sich der Kläger wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige nicht auf § 17 KSchG i.V.m. § 134 BGB berufen. Etwaige Fehler im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige stellen keinen Unwirksamkeitsgrund der ausgesprochenen Kündigung dar, weil der Zweck der Massenentlassungsanzeige nicht dem Individualschutz des Arbeitnehmers dient.
Die betriebsbedingte Kündigung war jedoch aus der Sicht des Landesarbeitsgerichts aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam. In diesem Zusammenhang hat das erkennende Gericht ausgeführt, dass der Arbeitgeber bei einer etappenweisen Betriebsstillegung keine freie Auswahl habe, wem er früher oder später kündigt und wer dementsprechend Teil eines sog. Abwicklungsteams wird.
Vielmehr sind die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen. Die Sozialauswahl ist im vorliegenden Fall fehlerhaft durchgeführt worden, weil der Arbeitgeber falsche Vergleichsgruppen gebildet hat. Der Arbeitgeber hat die Vergleichsgruppen anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten der Beschäftigten gebildet. Sie soziale Auswahl hätte jedoch anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vorgenommen werden müssen. Dazu hat der Arbeitgeber nicht hinreichend vorgetragen. Es blieb für das Landesarbeitsgericht Düsseldorf offen, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll.
Der Beklagten gelang es nicht, die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl zu widerlegen, sodass der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage auch in zweiter Instanz erfolgreich war. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Bewertung für die Praxis
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ist folgerichtig und zeigt einmal mehr, dass die Sozialauswahl ein Stolperstein für viele Arbeitgeber bei dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung sein kann. Sollten trotz Betriebsstillegung noch Abwicklungsarbeiten durchzuführen sein, müssen die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer Teil des Abwicklungsteams sein und mit den Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden.