Gerichte bringen Finanzvertriebe in Bedrängnis
Handelsblatt
Montag, 15. Februar 2010
Die Finanzvertriebe haben eine folgenschwere Niederlage erlitten: Zwei von Oberlandesgerichten beanstanden die Kostenabrechnung von AWD und Bonnfinanz gegenüber ihren Mitarbeitern. Die ganze Branche ist betroffen, aber AWD will die Entscheidung nicht hinnehmen.
von Jens Münchrath und Thomas Schmitt
HB DÜSSELDORF FRANKFURT. Nach einem Urteil der Oberlandesgerichte (OLG) in Köln und Celle ist die weit verbreitete Praxis der Finanzvertriebe, ihren freiberuflichen Mitarbeitern die Kosten für die Nutzung von Unternehmens-Software, den Druck von Visitenkarten oder die Verteilung von hauseigenen Kundenzeitschriften zu berechnen, illegal. Betroffen waren die Zurich-Tochter Bonnfinanz und die Swiss-Life-Tochter AWD.
Juristen halten die Urteile, die jetzt mit Entscheidungsgründen vorliegen, für bahnbrechend. Die gesamte Branche ist betroffen, sagt Martin Pröpper, Experte für Arbeitsrecht und Partner der Kölner Kanzlei Ulrich Weber & Partner. Nicht nur die großen Finanzvertriebe AWD und Bonnfinanz, auch die Rivalen zögen vom Verdienst ihrer Mitarbeiter diverse Kosten ab.
Eines der beiden Urteile ist noch nicht rechtskräftig. Deshalb verweist AWD auf den Bundesgerichtshof (BGH). Man werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, sagte AWD-Sprecher Bela Anda. Er bestätigte aber, dass die Urteile von erheblicher Bedeutung für die gesamte Branche von Handelsvertretern seien. Allein in Allfinanzvertrieben arbeiten Cash zufolge 70 000 haupt- und nebenberufliche Berater. Der Versichererverband GDV zählt 250 000 Versicherungsvermittler in Deutschland.
Für die Finanzvertriebe sind die beiden OLG-Urteile nicht die ersten juristischen Rückschläge. Vor allem AWD musste bereits empfindliche Niederlagen einstecken. Im vergangenen Jahr verlor das von Carsten Maschmeyer gegründete Unternehmen den Prozess um die Frage, ob AWD sich auch nach dem Einstieg von Swiss Life immer noch als unabhängig bezeichnen darf. Dieser Aspekt ist für die Vertriebe von zentraler Bedeutung, da die Rivalen, Versicherer und Banken, stets unter Verdacht stehen, vor allem eigene Produkte zu verkaufen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist der Anteil der Finanzvertriebe im Geschäft mit Altersvorsorgeprodukten in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Außerdem läuft noch eine Vielzahl von Verfahren enttäuschter Kunden wegen Falschberatung.
In den beiden jetzigen Urteilen geht es um vier- bis fünfstellige Eurobeträge. Im AWD-Verfahren (Aktenzeichen 11 U 50/09) liegt der Streitwert bei 23 000 Euro, wobei das Gericht dem Vertreter 9 000 Euro zusprach. In Köln ( 19 U 64/09) erstritt der Vertreter eine Rückzahlung von rund 2 500 Euro. Der Versicherer Zurich erklärte, sein Vertrieb habe sich auf das rechtskräftige Urteil eingestellt. Das Thema könne insofern als abgearbeitet betrachtet werden.
Interessant für Zehntausende von aktiven und ehemaligen Handelsvertretern ist, dass die Kostenberechnung ihres Vertriebs rückwirkend beanstandet werden kann. Es gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Allein bei der Berechnung der Software-Nutzung im Fall AWD könne theoretisch ein zweistelliger Millionenbetrag zusammenkommen, sagt Pröpper, der zwei AWD-Kläger vertritt. Wie viel Geld die Vertriebe letztlich zahlen müssen, hängt auch von der Klagebereitschaft ab. In Branchenkreisen wird diese gering eingeschätzt, weil streitlustige Vertreter erfahrungsgemäß von ihren Unternehmen unter Druck gesetzt würden. Doch sollte der BGH die Urteile bestätigen, müssten die Vertriebe aber ihre Kalkulation anpassen, denn sie dürfen ihren Mitarbeitern auch künftig die Kosten nicht berechnen.
Die Urteile kommen für die Vertriebe zu einem schlechten Zeitpunkt. Die Branche leidet unter der Finanzkrise, weil die Menschen Altersvorsorgeprodukte meiden. Händeringend suchen Versicherer wie Vertriebe gute Verkäufer. Gleichzeitig will die neue Regierung die Anforderungen für Finanzberater hochschrauben. Die beiden Urteile könnten daher das ohnehin schwierige Verhältnis der Unternehmen zu ihren freien Mitarbeitern verschlechtern. Wie kaum eine Branche sind die Finanzvertriebe auf das Vertrauen ihrer unabhängigen Berater angewiesen. Die Mitarbeiter sind das Kapital der Finanzmakler. Und die Stimmung ist denkbar schlecht.
Ich fühle mich betrogen, im Bewerbungsgespräch war von den Kosten, die wir zu tragen haben, nie die Rede, sagt Tim Runge, der von Oktober 2008 bis Juni vergangenen Jahres im Münsteraner Raum Mitarbeiter beim AWD war und jetzt klagt. Es werde viel versprochen und wenig gehalten, klagt auch Sebastian Rother. Man wüsste nie, was man letztlich für eine Provision bekommt, das Verfahren sei total intransparent, sagt der Ex-AWDler.
Juristen sind zuversichtlich, dass die beiden ihre Ansprüche letztlich durchsetzen können. Denn beide Oberlandesgerichte begründeten ihre Urteile mit § 86a des Handelsgesetzbuches (HGB). Danach muss der Unternehmer dem Handelsvertreter wichtige Unterlagen wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen oder Geschäftsbedingungen stellen.
Anwalt Pröpper hält es für nahezu ausgeschlossen, dass der BGH das AWD-Urteil des OLG Celle kippen wird. Das ergebe sich schon aus dem Gesetzeswortlaut. Im Übrigen habe das OLG Celle die Revision nur wegen der Vielzahl der Handelsvertreter in seinem Gerichtsbezirk zugelassen. Es habe sich aber inhaltlich vollständig auf das vorangegangene Urteil in Köln gegen Bonnfinanz bezogen. Das OLG Köln hatte die Revision zum BGH nicht zugelassen, den Fall also als eindeutige Sache angesehen.
Beide Gerichte hätten sich schließlich auf einen Standardkommentar (Ebenroth) bezogen. Darin wird der Umfang der zu stellenden Arbeitsmittel nach § 86a des HGB weit ausgelegt: Im Einzelnen gehören dazu neben Musterstücken auch spezielle, die konkrete Vertriebstätigkeit im Einzelfall betreffende Computersoftware und umfassendes Werbematerial. Dieser HGB-Kommentar wurde von einem BGH-Richter herausgegeben. Mit anderen Worten: Der BGH müsste das AWD-Urteil revidieren, indem man sich gegen einen Kommentar eines der eigenen Richter stellt. Das werde nicht passieren, so Pröpper.
Der AWD lässt sich von diesen Argumenten nicht beirren. Wir sind von der Richtigkeit unseres Vorgehens überzeugt und halten daran fest, erforderliche Unterlagen den Handelsvertretern kostenfrei zu